Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Sputnik Sweetheart

Sputnik Sweetheart

Titel: Sputnik Sweetheart Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Haruki Murakami
Vom Netzwerk:
Freizeit englische Konversation betreiben und sich im Autofahren üben. Wäre das möglich?«
    »Ich glaube schon«, erwiderte Sumire. Ihre eigene Stimme klang für sie wie die einer Fremden in einem anderen Zimmer. Es schien keine andere Möglichkeit zu geben, als allen Bitten und Befehlen Mius willig zu gehorchen. Miu hielt immer noch ihre Hand und sah ihr dabei tief in die Augen. Ganz deutlich erkannte Sumire in Mius dunklen Augen ihr eigenes Spiegelbild. Es schien, als würde ihre Seele von diesem Spiegel eingesaugt. Sumire liebte diese Vorstellung, empfand jedoch gleichzeitig tiefe Furcht.
    Wenn Miu lächelte, erschienen bezaubernde Fältchen in ihren Augenwinkeln. »Kommen Sie, wir gehen zu mir. Ich möchte Ihnen etwas zeigen.«

4
    In meinen ersten Semesterferien hatte ich allein eine Reise nach Hokuriku unternommen und im Zug eine acht Jahre ältere Frau kennen gelernt, die ebenfalls allein unterwegs war und mit der ich eine Nacht verbrachte. Mir war, als erlebte ich die Anfangsepisode von Natsume Sosekis Sanshiro.
    Die Frau arbeitete in der Devisenabteilung einer Bank in Tokyo. Im Urlaub klemmte sie sich immer ein paar Bücher unter den Arm und fuhr alleine los. »Mit einem anderen Menschen zu reisen, ist so anstrengend«, sagte sie. Sie hatte eine bezaubernde Ausstrahlung, weshalb ich auch nicht ganz verstand, warum sie sich für einen schweigsamen, schlaksigen Achtzehnjährigen wie mich interessierte. Doch auf der Zugfahrt schien sie das belanglose Geplauder mit mir zu genießen und lachte oft laut heraus. Ich war so gesprächig und amüsant wie selten. Zufällig stiegen wir beide in Kanazawa aus. »Wissen Sie schon, wo Sie übernachten?« fragte sie mich. Ich verneinte (noch nie im Leben hatte ich ein Zimmer reserviert). Sie habe ein Hotelzimmer, sagte sie, und ich könne bei ihr übernachten. »Keine Angst, es kostet das Gleiche, ob nun einer oder zwei dort schlafen.«
    Da ich beim ersten Mal, als wir zusammen schliefen, sehr aufgeregt war, ging es ziemlich daneben, und ich entschuldigte mich. »Man muss sich doch nicht für jede Kleinigkeit entschuldigen«, sagte sie. »Das ist zu förmlich.«
    Nachdem sie geduscht hatte, zog sie sich einen Bademantel über, nahm zwei Dosen Bier aus dem Kühlschrank und gab mir eine.
    Als sie ihr Bier zur Hälfte getrunken hatte, fragte sie mich nachdenklich: »Kannst du Auto fahren?«
    »Ich habe den Führerschein noch nicht lange. Wahrscheinlich nicht besonders gut. Einigermaßen eben.«
    Sie lächelte. »Genau wie ich. Ich finde, ich fahre ziemlich gut, aber meine Bekannten sind anderer Meinung. Also fahre ich wohl normal. Du kennst sicher auch ein paar Leute, die sich für tolle Fahrer halten, oder?«
    »Ja.«
    »Und auch ein paar, die nicht so gut fahren.«
    Ich nickte. Sie nahm noch einen Schluck Bier und überlegte ein bisschen.
    »Diese Dinge sind wohl bis zu einem gewissen Grad angeboren. Manche Leute sind praktisch veranlagt, andere nicht… Ebenso wie einige Menschen ihre Umgebung viel aufmerksamer wahrnehmen als andere. Stimmt’s?«
    Wieder nickte ich.
    »Gut, dann stell dir mal Folgendes vor. Du unternimmst mit jemandem eine längere Autofahrt. Ihr wechselt euch beim Fahren ab. Welchen Typ von Partner würdest du wählen? Einen guten Fahrer, der aber unaufmerksam ist, oder einen aufmerksamen, der aber miserabel fährt? «
    »Letzteren«, antwortete ich.
    »Ich auch«, sagte sie. »So ist es mit allen Dingen. Ob jemand geschickt, praktisch oder nicht praktisch veranlagt ist, spielt eigentlich keine so große Rolle. Das Wichtigste sind Konzentration und Gelassenheit. Man sollte stets aufmerksam sein und die Ohren spitzen.«
    »Die Ohren spitzen?« fragte ich.
    Sie lächelte nur und schwieg.
    Als wir kurze Zeit später zum zweiten Mal miteinander schliefen, ging alles glatt. Wir waren sozusagen ein Herz und eine Seele. Ich spitzte die Ohren und hatte zum ersten Mal das Gefühl, ein bisschen zu verstehen, worum es ging und was Sex für eine Frau bedeutet.
    Am nächsten Tag nach dem Frühstück trennten wir uns. Sie setzte ihre Reise fort und ich meine. Bevor wir auseinander gingen, erzählte sie mir, dass sie in zwei Monaten einen Kollegen heiraten würde. »Er ist ein sehr netter Mann«, sagte sie mit einem Lächeln. »Wir sind seit fünf Jahren zusammen. Jetzt heiraten wir endlich. Also ist dies wahrscheinlich die letzte Reise, die ich ganz allein machen werde.«
    Jung wie ich war, bildete ich mir ein, dass das Leben voll solcher aufregenden Begegnungen ist.

Weitere Kostenlose Bücher