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Sputnik Sweetheart

Sputnik Sweetheart

Titel: Sputnik Sweetheart Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Haruki Murakami
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eigenen Vater zu sehen. Stellen Sie sich vor, man würde auf dem Bahnhofsplatz von Chigasaki eine Statue von Ihrem Vater errichten, das würden Sie doch auch eigenartig finden, oder? Obwohl mein Vater ein eher kleiner Mann war, erweckte die Statue den Eindruck, er sei ein Riese. Damals war ich völlig verblüfft, dass man etwas mit eigenen Augen sehen kann und es doch nicht der Wirklichkeit entspricht. Allerdings war ich auch erst fünf Jahre alt.«
    Sumire dachte, dass eine Statue ihres Vaters vermutlich im Vergleich mit der Realität etwas abfallen würde, da er für einen Menschen aus Fleisch und Blut einfach zu gut aussah.
    »Um auf unser Gespräch von gestern zurückzukommen«, unterbrach sich Miu, als man ihnen den zweiten Espresso brachte. »Hätten Sie Lust, bei mir zu arbeiten?«
    Sumire hätte gern geraucht, aber es war kein Aschenbecher in Sicht. Stattdessen nippte sie an ihrem Perrier.
    Sie antwortete ganz ehrlich. »Was müsste ich denn konkret tun? Wie gesagt, bis auf ein paar einfache Jobs habe ich noch nie gearbeitet, habe also keinerlei Berufserfahrung. Außerdem habe ich nichts anzuziehen. Die Sachen, die ich bei der Hochzeit anhatte, hatte ich mir von einer Bekannten geliehen.«
    Miu nickte mit unveränderter Miene. Offenbar hatte sie mit dieser Antwort gerechnet.
    »Ich verstehe ganz gut, was für ein Mensch Sie sind und was Sie mir sagen möchten. Die Tätigkeit, die ich im Sinn habe, können Sie problemlos ausführen. Es geht eigentlich eher darum, ob Sie für mich arbeiten möchten oder nicht. Sagen Sie einfach ja oder nein.«
    Sumire wählte ihre Worte mit Bedacht. »Das freut mich natürlich sehr, aber im Augenblick ist für mich das Wichtigste, Zeit zum Schreiben zu haben. Deswegen habe ich ja auch mein Studium abgebrochen .«
    Miu sah Sumire ins Gesicht. Als sie Mius ruhigen Blick auf ihrer Haut spürte, begann Sumires Gesicht zu glühen.
    »Darf ich Ihnen ganz ehrlich sagen, was ich denke?« fragte Miu.
    »Natürlich. Alles.«
    »Ich hoffe, Sie werden nicht gekränkt sein.«
    Zum Zeichen, dass ihr das nichts ausmachte, presste Sumire die Lippen zusammen und sah Miu fest in die Augen.
    »Ich bin der Meinung, dass Sie im Augenblick nichts von Bedeutung schreiben werden, auch wenn Sie sehr viel Zeit investieren«, sagte Miu ruhig, aber mit Nachdruck. »Sie haben Talent. Ich bin aufrichtig davon überzeugt, dass Sie eines Tages etwas Wunderbares schreiben werden. Das sage ich, ohne Ihnen schmeicheln zu wollen. Von Ihnen geht eine natürliche Energie aus. Aber im Moment sind Sie noch nicht so weit. Sie haben noch nicht die Kraft, die Tür ganz aufzustoßen. Haben Sie das selbst noch nicht empfunden?«
    »Ich brauche Zeit und Erfahrung«, fasste Sumire zusammen.
    Miu lächelte. »Kommen Sie doch zu mir. Das wäre das Beste für Sie. Und wenn Sie spüren, dass die Zeit gekommen ist, werfen Sie ohne Hemmungen alles hin und schreiben nach Herzenslust Romane. Sie sind nicht sonderlich praktisch veranlagt und brauchen mehr Zeit als normale Menschen, um ihre Ziele zu erreichen. Selbst wenn Sie mit achtundzwanzig noch nichts erreicht haben, Ihre Eltern Ihnen kein Geld mehr geben und Sie völlig pleite sind, schadet das nichts. Vielleicht müssen Sie dann hungern, aber vielleicht muss eine Schriftstellerin so etwas auch mal erleben.«
    Sumire öffnete den Mund, um etwas zu entgegnen, aber ihr versagte die Stimme, und sie nickte nur.
    Miu streckte ihr die rechte Hand entgegen. »Schlagen Sie ein.« Sumire legte ihre Rechte in Mius warme, glatte Handfläche, und Miu umschloss sie. »Sie brauchen sich nicht solche Sorgen zu machen, und ziehen Sie nicht so ein mürrisches Gesicht. Wir werden gut miteinander auskommen.«
    Sumire schluckte. Mit Mühe gelang es ihr, das Gesicht zu entspannen. Wenn Miu sie so direkt von vorne ansah, hatte sie das Gefühl, allmählich zu schrumpfen, immer weniger zu werden. Vielleicht würde sie sich auflösen wie ein Eiswürfel in der Sonne.
    »Ab nächster Woche kommen Sie dreimal wöchentlich in mein Büro. Montags, mittwochs und freitags. Morgens um zehn sind Sie da, und nachmittags um vier können Sie wieder gehen. So vermeiden Sie den Berufsverkehr. Ich kann Ihnen kein hohes Gehalt zahlen, aber dafür ist die Arbeit auch nicht schwer, und wenn es nichts zu tun gibt, können Sie lesen. Außerdem müssen Sie zweimal in der Woche Privatstunden in Italienisch nehmen. Da Sie Spanisch können, dürfte Ihnen das kaum Schwierigkeiten bereiten. Ich möchte auch, dass Sie in Ihrer

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