Sputnik Sweetheart
Whiskey – Canadian Club – mit Eis. Wie immer in solchen Situationen fühlte ich mich wie der elendste Mensch auf der Welt. Ich kippte den ersten Drink schnell und bestellte einen zweiten. Dann stellte ich mir mit geschlossenen Augen Sumire vor. Sumire, wie sie ohne Oberteil am weißen Strand der griechischen Insel in der Sonne lag. Am Nebentisch saßen vier junge Leute, offenbar Studenten, tranken Bier und lachten fröhlich. Aus dem Lautsprecher tönte eine alte Nummer von Huey Lewis and the News. Es roch nach Pizza.
Plötzlich überfielen mich Erinnerungen an früher. Wann und wo war meine Jugend zu Ende gegangen? Sie war doch zu Ende, oder? Gerade war ich noch ein Teenager gewesen. Huey Lewis and the News hatten damals ein paar Hits, erst vor einigen Jahren. Und jetzt saß ich unentrinnbar in einer Tretmühle fest und trat endlos auf der Stelle. Obwohl ich genau wusste, dass ich auf diese Weise nirgendwohin gelangen würde, konnte ich nicht anhalten. Es ging einfach nicht. Ohne diesen Trott konnte ich nicht leben.
In jener Nacht erhielt ich einen Anruf aus Griechenland. Um zwei Uhr. Doch nicht Sumire rief mich an, sondern Miu.
7
Zuerst fragte die tiefe Stimme eines Mannes mit einem schrecklichen Akzent auf Englisch nach mir und schrie dann: »Sind Sie das auch wirklich?« Da es zwei Uhr in der Nacht war, war ich natürlich benommen. Alles in meinem Kopf verschwamm, wie auf einem Reisfeld mitten in einem Regenguss. Ich stand völlig auf der Leitung. An den Laken haftete noch die Erinnerungan den Sex vom Nachmittag. Alles schien asynchron, als hätte ich die Anknüpfungspunkte zur Realität verloren. Wie wenn man eine Jacke falsch zuknöpft. Der Mann wiederholte meinen Namen und schrie wieder, ob ich es auch wirklich sei.
»Ja, am Apparat«, antwortete ich. Es hatte sich zwar nicht wie mein Name angehört, aber er war es trotzdem. Danach krachte es heftig, als träfen unterschiedliche Luftmassen aufeinander. Wahrscheinlich ein Anruf aus Übersee von Sumire, dachte ich. Ich hielt den Hörer ein Stück von meinem Ohr weg und wartete auf ihre Stimme. Aber nicht Sumires Stimme tönte mir aus dem Hörer entgegen, sondern die von Miu. »Sie wissen wahrscheinlich von Sumire, wer ich bin?«
»Ja, ich weiß, wer Sie sind«, sagte ich.
Ihre Stimme klang weit weg und wie von einer anorganischen Substanz verzerrt, und dennoch schwang eine gewisse Anspannung darin mit. Etwas Bitteres und Angst Einflößendes schlich sich wie Trockeneisnebel durch das Telefon in mein Zimmer. Plötzlich war ich hellwach. Ich setzte mich im Bett auf und umklammerte den Hörer fester.
»Ich habe keine Zeit, langsam zu sprechen«, sagte Miu gehetzt. »Ich rufe von einer griechischen Insel an, aber man kriegt hier fast keine Telefonverbindung nach Tokyo, und wir können jederzeit wieder unterbrochen werden. Ich habe es so oft versucht, und endlich hat es geklappt. Deshalb komme ich ohne Umschweife gleich zur Sache, ja?«
»Kein Problem«, sagte ich.
»Können Sie herkommen?«
»Nach Griechenland?«
»Ja, so bald wie möglich.«
Ich stellte die erste Frage, die mir durch den Kopf schoss. »Ist etwas mit Sumire?«
Miu holte Luft. »Das weiß ich noch nicht. Aber sie möchte, dass Sie herkommen, glaube ich. Ganz sicher.«
»Sie glauben?«
»Das kann ich am Telefon nicht erklären. Wir können jederzeit unterbrochen werden. Es ist eine heikle Sache, die ich möglichst persönlich mit Ihnen besprechen möchte. Ich bezahle Ihre Hin- und Rückreise. Fliegen Sie her. So schnell Sie eben können. Ich kaufe Ihnen ein Erster-Klasse-Ticket.«
In zehn Tagen begann das neue Schuljahr. Bis dahin musste ich zurück sein. Wenn ich mich sofort auf den Weg machte, konnte ich es schaffen. Ich war zwar dazu eingeteilt, während der Ferien in der Schule zweimal in der Woche Büroarbeiten zu erledigen, aber das konnte ich delegieren.
»Ich glaube, ich kann kommen«, sagte ich. »Es wird schon gehen. Wo genau sind Sie?«
Sie sagte mir den Namen der Insel. Ich notierte ihn mir in dem Buch, das neben meinem Bett lag. Den Namen hatte ich irgendwo schon einmal gehört.
»Von Athen fliegen Sie nach Rhodos, von dort nehmen Sie die Fähre. Es gibt nur zwei am Tag – eine vormittags und eine abends. Ich werde am Hafen nach Ihnen Ausschau halten. Kommen Sie?«
»Ja, ich komme. Nur ich…«, hob ich an, aber da war das Gespräch schon unterbrochen. Ganz plötzlich, abrupt, als hätte jemand mit einer Axt ein Seil gekappt. Ähnlich brutal wie das heftige
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