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Sputnik Sweetheart

Sputnik Sweetheart

Titel: Sputnik Sweetheart Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Haruki Murakami
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erwähnt wurde, der jedoch die allgemeinen Informationen über Währung, Lebensverhältnisse, Klima enthielt, die ich brauchte. Abgesehen von ein paar Daten der antiken Geschichte und Titeln von Tragödien wusste ich über Griechenland etwa so viel wie über die Topografie des Jupiter oder das Kühlsystem eines Ferrari-Motors. Ich hatte nie vorgehabt, Griechenland zu bereisen. Zumindest bis zu diesem Morgen um zwei Uhr nicht.
     
    Im Laufe des Vormittags rief ich eine Kollegin an. Ich müsse Tokyo aus familiären Gründen für eine Woche verlassen, ob sie so nett sein könne, in dieser Zeit meine Verpflichtungen an der Schule zu übernehmen. Sie war einverstanden. Es war ganz einfach, denn wir hatten einander schon öfter ausgeholfen. »Wohin musst du denn?« fragte sie. »Nach Shikoku«, antwortete ich. Ich konnte ja schlecht sagen, dass ich nach Griechenland reiste.
    »Du Armer. Sei aber rechtzeitig zum Schulanfang wieder hier. Und bring mir was Schönes mit«, sagte sie.
    »Natürlich«, antwortete ich. Das alles würde sich später finden.
    Ich ging in die Lounge für Passagiere der Business-Class, sank auf ein Sofa und schlief ein. In meinem unruhigen Traum hatte die Welt jegliche Realität verloren. Die Farben wirkten künstlich, die Gegenstände unnatürlich starr. Der Himmel schien aus Sperrholz zu sein, die Sterne aus Alufolie. Ich sah den Klebstoff und die Nägel. Ständig ertönten Durchsagen. »Die Passagiere des Air-France-Fluges 275 nach Paris werden gebeten …« Hin- und hergerissen zwischen unruhigem Schlaf und Wachen dachte ich an Sumire. Bilder von gemeinsamen Erlebnissen zogen wie Momentaufnahmen aus einem alten Dokumentarfilm an mir vorüber. Im Gewimmel des Flughafens, in dem die Reisenden hierhin und dorthin eilten, erschien unsere Welt erbärmlich, kraftlos und ohne Schärfe. Wir besaßen kein wissenswertes Wissen und keine anderen Fähigkeiten, die diesen Mangel hätten ausgleichen können. Nichts, auf das wir uns stützen konnten. Wir waren Nullen, minimale Existenzen, die von einem Zustand der Bedeutungslosigkeit zum nächsten gespült wurden.
    Schweißnass fuhr ich auf. Das Hemd klebte mir an der Brust, mein Körper war schwer wie Blei, die Beine geschwollen – ein Gefühl, als hätte ich einen ganzen Wolkenhimmel geschluckt. Vermutlich sah ich ziemlich bleich aus, denn eine der Angestellten in der Lounge fragte mich besorgt nach meinem Befinden. »Ach, das kommt nur von der Hitze«, antwortete ich. Ob sie mir etwas Kaltes zu trinken bringen könne? Ich zögerte und bat sie dann um ein Bier. Sie brachte mir einen kalten Waschlappen, ein Heineken und eine Tüte gesalzener Erdnüsse. Nachdem ich mir das Gesicht abgewischt und das Bier halb ausgetrunken hatte, ging es mir schon viel besser, und ich konnte noch ein bisschen schlafen.
     
    Der Flug über die Polarroute nach Amsterdam verlief planmäßig. Unterwegs trank ich zwei Gläser Whiskey, um schlafen zu können, und wachte nur zum Abendessen kurz auf. Das Frühstück ließ ich ausfallen, denn ich hatte keinen Appetit. Um nicht in unnötiges Grübeln zu geraten, konzentrierte ich mich die ganze übrige Zeit auf die Lektüre von Conrad.
    In Amsterdam stieg ich in den Flug nach Athen um, wechselte dort das Terminal und ging fast ohne Wartezeit an Bord des Fluges 727 nach Rhodos. Die Maschine war voll besetzt mit gut gelaunten jungen Leuten aus aller Herren Länder. Alle waren braun gebrannt, trugen T-Shirts oder Tanktops und abgeschnittene Jeans. Die meisten jungen Männer hatten Bärte (oder hatten vergessen, sich zu rasieren) und langes, im Nacken zusammengebundenes Haar. In meinen beigefarbenen Chinos, dem kurzärmligen Polohemd und dem dunkelblauen Baumwollblazer kam ich mir völlig fehl am Platz vor. Zudem hatte ich auch noch meine Sonnenbrille vergessen. Aber wer konnte mir das verdenken? Vor kurzem hatte ich noch in meiner Wohnung in Kunitachi gesessen und mir Gedanken über die Entsorgung meines Küchenabfalls gemacht.
    In Rhodos erkundigte ich mich noch am Flughafen nach der Anlegestelle der Fähren, die, wie sich herausstellte, nicht weit weg lag. Wenn ich mich beeilte, konnte ich die Abendfähre noch erwischen. »Wird die Fähre nicht voll sein?«, fragte ich vorsichtshalber. »Einer findet immer noch Platz«, sagte die spitznasige Frau unbestimmten Alters an der Information mit unwillig gerunzelter Stirn und wedelte ungeduldig mit der Hand. »Das ist ja kein Fahrstuhl.«
     
    Ich nahm ein Taxi zum Hafen. Möglichst schnell,

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