Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Sputnik Sweetheart

Sputnik Sweetheart

Titel: Sputnik Sweetheart Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Haruki Murakami
Vom Netzwerk:
Verpflichtung. Irgendwann wäre ich wahrscheinlich ohnehin hergekommen.«
    Miu überlegte kurz und nickte dann. »Ich bin Ihnen unendlich dankbar dafür, dass Sie gekommen sind. Ich kann gar nicht sagen, wie sehr.«
     
    Als wir das Lokal verließen, umgab uns ein leuchtender, wie künstlich getönter Abendhimmel, sodass ich das Gefühl hatte, die Luft könnte auf meine Lunge abfärben. Es funkelten schon ein paar kleine Sterne. Nach dem langen, heißen Sommertag konnten es die Bewohner der Insel kaum erwarten, nach dem Abendessen ihre Häuser zu verlassen und am Hafen zu flanieren. Überall gingen Familien, Paare und Freunde gemeinsam spazieren. Der milde, salzige Duft des Meeres am Ende des Tages durchdrang die Straßen. Miu und ich schlenderten die Hauptstraße entlang, auf deren rechter Seite sich Läden, kleine Hotels und Restaurants, vor denen Tische standen, aneinander reihten. Hinter hölzernen Fensterläden leuchtete traulich gelbes Licht, aus einem Radio ertönte griechische Musik. Links von der Straße erstreckte sich das Meer, dessen nachtdunkle Wellen sacht gegen die Hafenmauer schlugen.
    »Gleich geht’s bergauf«, sagte Miu. »Wir können entweder eine relativ steile Treppe hinaufsteigen, dann sind wir schneller da, oder einen sanften Hang. Nehmen wir die Treppe?«
    Mir war es recht. Die schmale Steintreppe führte den Hügel hinauf. Eine ganze Weile ging es wirklich ziemlich steil aufwärts, aber Miu, die Turnschuhe trug, zeigte keine Anzeichen von Ermüdung und verlangsamte ihren Rhythmus nicht. Der vor meinem Auge hin-und herschwingende Saum ihres Rockes und das Schimmern ihrer braunen, wohlgeformten Waden im Licht des fast vollen Mondes boten einen äußerst angenehmen Anblick. Ich geriet als Erster außer Atem und musste mitunter anhalten, um zu verschnaufen. Je höher wir stiegen, desto winziger blinkten die Lichter weit unten im Hafen. Auf einmal war mir, als würde alles Tun und Treiben der Menschen um mich herum von dieser anonymen Ansammlung von Lichtern aufgesogen. Dieses Bild beeindruckte mich so tief, dass ich es mir am liebsten ausgeschnitten und zur Erinnerung an die Wand geheftet hätte.
    Das Haus war eine Art von Cottage mit einer Veranda zum Meer hin. Es war weiß gekalkt, hatte ein rotes Ziegeldach und eine dunkelgrüne Eingangstür. Die niedrige Steinmauer, die das Haus umgab, war über und über mit roten Bougainvilleen bewachsen. Miu öffnete die unverschlossene Tür und bat mich hinein.
    Im Innern war es angenehm kühl. Das Haus bestand aus einem Wohnzimmer, einem mittelgroßen Esszimmer, einer Küche, zwei Schlafzimmern und einem kleinen, sauberen, gekachelten Bad. An den weiß getünchten Wänden hingen einige abstrakte Gemälde. Im Wohnzimmer gab es eine Couchgarnitur, ein Bücherregal und eine kleine Stereoanlage. Das ganze Mobiliar war schlicht, schuf aber eine zwanglose, gemütliche Atmosphäre.
    Miu nahm ihren Hut ab, legte ihre Schultertasche auf der Küchentheke ab und fragte mich, ob ich gleich etwas trinken oder zuerst eine Dusche nehmen wolle. Zuerst duschen. Ich wusch mir die Haare, föhnte sie und rasierte mich. Nachdem ich noch ein frisches T-Shirt angezogen hatte, fühlte ich mich schon viel besser. Auf der Ablage unter dem Badezimmerspiegel standen zwei Zahnbürsten. Eine rote und eine blaue. Welche davon wohl Sumire gehörte?
    Als ich ins Wohnzimmer zurückkehrte, saß Miu mit einem Glas Brandy im Sessel. Sie bot mir auch einen an, aber ich zog ein kaltes Bier vor. Aus dem Kühlschrank nahm ich mir ein Amstel und goss es in ein großes Glas. Tief in ihren Sessel geschmiegt, schwieg Miu lange, wohl weniger, weil sie nach Worten suchte, sondern um Erinnerungen nachzuhängen, die weder einen bestimmten Anfang noch ein bestimmtes Ende hatten.
    »Seit wann sind Sie hier?« unterbrach ich ihre Gedanken.
    »Heute sind es, glaube ich, acht Tage«, erwiderte sie nach kurzem Nachdenken.
    »Und Sumire ist hier verschwunden?«
    »Ja, wie gesagt, als hätte sie sich in Rauch aufgelöst.«
    »Wann war das?«
    »Vor vier Tagen abends«, sagte sie und schaute sich im Zimmer um, als könnte sie dort einen Anhaltspunkt finden. »Ich weiß gar nicht, wie und wo ich anfangen soll.«
    »Aus Sumires Briefen weiß ich, dass Sie von Mailand nach Paris geflogen und von dort mit dem Zug nach Burgund weitergefahren sind. Im Burgund haben Sie auf dem Anwesen von Freunden gewohnt«, sagte ich.
    »Gut, dann will ich dort beginnen.«

8
    »Mit einigen Weinbauern der Gegend bin ich seit

Weitere Kostenlose Bücher