Sputnik Sweetheart
Nasen ab, als würden sie Bäume im Garten beschneiden – so stand es zumindest in dem Heftchen. Ende des 19. Jahrhunderts erhielt die Insel nach blutigen Kämpfen ihre Unabhängigkeit zurück, und die blau-weiße griechische Flagge wehte im Hafen. Später kam Hitler. Die Deutschen errichteten die erste Radar- und Wetterstation auf dem Berg, um das umliegende Meer zu überwachen, denn von dort hatte man die beste Sicht. Eine britische Bomberdivision aus Malta bombardierte die Station. Sie bombardierten jedoch nicht nur den Berg, sondern auch den Hafen, wobei einige unbeteiligte Fischerboote versenkt wurden. Zahlreiche Fischer kamen ums Leben. Bei diesem Angriff starben mehr Griechen als Deutsche, und viele Einheimische waren wegen dieses Vorfalls noch immer verbittert.
Wie auf vielen griechischen Inseln gab es kaum ebenes Gelände. Die Insel bestand fast ausschließlich aus steilen, unwegsamen Hügeln. Die Menschen lebten überwiegend an der Küste südlich des Hafens. Weiter entfernt vom Ort lag ein wunderschöner, einsamer Strand. Um ihn zu erreichen, musste man jedoch über einen ziemlich steilen Hügel klettern. Die besser zugänglichen Strände waren weniger attraktiv – wahrscheinlich einer der Gründe für die stagnierende Touristenzahl. Außerdem hielten sich die Mönche der griechisch-orthodoxen Klöster, die in den Hügeln verstreut lagen, sehr strikt an ihre Ordensregeln und gestatteten Besuchern keinen Zutritt.
Der Beschreibung des Reiseführers nach zu urteilen, handelte es sich um eine sehr typische griechische Insel. Aus unerfindlichen Gründen waren anscheinend jedoch Engländer (die ja den Ruf haben, etwas exzentrisch zu sein) gerade von dieser Insel besonders bezaubert und hatten an einem Hang über dem Hafen eine kleine Ferienhauskolonie errichtet. Ende der sechziger Jahre hatten sich einige englische Schriftsteller hier niedergelassen und Romane geschrieben, während sie auf das blaue Meer und die weißen Wolken blickten. Einige dieser Werke waren von der Literaturkritik positiv aufgenommen worden, und ihnen verdankte die kleine Insel in literarischen Kreisen Englands ihren romantischen Ruf. Allerdings zeigten sich die einheimischen Bewohner relativ unbeeindruckt von der Bedeutung ihrer Insel für die Weltliteratur.
Das alles las ich nur, um mich von meinem nagenden Hunger abzulenken. Am Ende klappte ich das Heft zu und schaute mich noch einmal um. Die alten Männer im Café starrten unentwegt aufs Meer, als stünden sie in einem Wettbewerb miteinander, und wer zuerst wegsähe, hätte verloren. Es war schon fast acht, und mein leerer Magen schmerzte richtig. Von irgendwo wehte der Duft von gebratenem Fleisch und gegrilltem Fisch herüber und zwackte mich wie ein neckischer Folterknecht in die Eingeweide. Als ich es nicht mehr aushielt, aufstand und meine Tasche nahm, um mich nach einem Restaurant umzusehen, kam lautlos eine Frau auf mich zu.
Die letzten Strahlen der im Meer versinkenden Sonne umfingen die Frau. Ihr knielanger weißer Rock wehte ein bisschen, während sie leichtfüßig die Steinstufen hinunterschritt. Sie hatte mädchenhafte Beine und trug leichte Tennisschuhe, eine ärmellose hellgrüne Bluse und einen Hut mit schmaler Krempe. Über ihrer Schulter hing eine Stofftasche. Sie fügte sich organisch in den Hintergrund ein, und da sie sich so natürlich und unbefangen bewegte, hielt ich sie zunächst für eine Einheimische. Aber sie kam geradewegs auf mich zu, und aus der Nähe erkannte ich, dass sie asiatische Gesichtszüge hatte. Beinahe reflexartig setzte ich mich und stand wieder auf. Die Frau nahm ihre Sonnenbrille ab und nannte meinen Namen.
»Entschuldigen Sie, dass ich so spät komme«, sagte sie. »Ich war auf dem Polizeirevier und musste alle möglichen Formulare ausfüllen. Außerdem habe ich nicht damit gerechnet, dass Sie schon heute ankommen. Ich hatte Sie frühestens morgen Mittag erwartet.«
»Ich habe alle Anschlüsse geschafft«, sagte ich. Polizeirevier?
Miu sah mir ins Gesicht und lächelte. »Wenn es Ihnen recht ist, würde ich gern irgendwo etwas essen und dabei in Ruhe alles besprechen. Ich habe heute nur gefrühstückt. Wie ist es mit Ihnen? Haben Sie Hunger?«
»Großen Hunger«, sagte ich.
Sie führte mich zu einer Taverne in einer Gasse am Hafen. Am Eingang stand ein großer Holzkohlegrill, auf dem alle möglichen frischen Meeresfrüchte brutzelten. Als Miu mich fragte, ob ich gern Fisch äße, bejahte ich herzhaft. Sie bestellte in
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