Sputnik Sweetheart
ich.
Miu stieß einen Seufzer aus, so tief wie ein Windstoß vom Ende der Welt. »Wie soll ich ihnen das alles bloß erklären?«
Ich verstand ihre Ratlosigkeit. Wie kann man etwas Unerklärliches erklären?
Ich begleitete sie zum Hafen. Sie hatte eine kleine Tasche mit ein paar Kleidern dabei, trug hochhackige Lederschuhe und eine Schultertasche von Mila Schön. Als Erstes gingen wir zum Polizeirevier, um zu hören, ob sich etwas getan hatte. Ich gab mich als ein Verwandter von Miu aus, der zufällig in der Nähe war. Die Polizei hatte noch immer nicht die geringste Spur. »Machen Sie sich keine Sorgen«, trösteten die Polizisten uns unbekümmert. »Schauen Sie, unsere Insel ist so friedlich. Natürlich gibt es auch hier das übliche Maß an Kleinkriminalität. Liebeshändel, Trunkenheit und manchmal politische Auseinandersetzungen – das ist nur menschlich und überall auf der Welt das Gleiche. Aber es handelt sich ausschließlich um Streitigkeiten zwischen Einheimischen. In den letzten fünfzehn Jahren ist hier kein einziger Ausländer Opfer eines Verbrechens geworden.«
Das war zwar alles schön und gut, aber eine Erklärung für Sumires Verschwinden hatten sie nicht.
»Im Norden der Insel gibt es eine große Kalksteinhöhle. Wenn jemand sich in dem Labyrinth dort verirrt, kann es passieren, dass er nicht mehr herausfindet«, sagten sie. »Aber die Höhle ist ziemlich weit entfernt von hier. Ein Mädchen im Schlafanzug kann da nicht einfach hinlaufen.«
Ich fragte, ob Sumire im Meer ertrunken sein könnte.
Die Polizisten schüttelten die Köpfe. In der Gegend gebe es keine starken Strömungen. Außerdem sei das Wetter seit einer Woche stabil und die See ruhig. Jeden Tag fuhren massenweise Fischer hinaus, und wenn Sumire beim Baden ertrunken wäre, hätte bestimmt jemand ihre Leiche gefunden.
»Wie ist es mit einem Brunnen?« fragte ich. »Könnte sie nicht beim Spazierengehen in einen tiefen Brunnen gestürzt sein?«
Die Polizisten schüttelten wieder die Köpfe. »Brunnen haben wir hier nicht. Wir brauchen keine, denn es gibt genügend Quellen. Außerdem ist der Boden viel zu felsig, um Löcher auszuheben.«
Als wir das Polizeirevier verlassen hatten, erzählte ich Miu, dass ich möglichst noch am Morgen zu dem Strand auf der anderen Seite des Hügels gehen wolle, an dem sie und Sumire immer gebadet hatten. Sie kaufte am Kiosk eine einfache Karte der Insel und erklärte mir den Weg, der anstrengend sei und für den man etwa eine Dreiviertelstunde brauche. Sie riet mir, feste Schuhe anzuziehen. Wir gingen zum Hafen, und in einer Mischung aus Englisch und Französisch einigten sich Miu und der Fahrer eines Taxibootes rasch über den Fahrpreis nach Rhodos.
»Vielleicht nimmt ja doch noch alles ein gutes Ende«, sagte Miu beim Abschied, aber ihre Augen straften ihre optimistischen Worte Lügen. Sie wusste, dass die Lage sehr ernst war. Der Motor des Bootes sprang an, und während sie mit der linken Hand ihren Hut festhielt, winkte sie mir mit der rechten zu.
Als ihr Boot aus dem Hafen verschwunden war, hatte ich das Gefühl, einige kleine Teile meines Innern wären mir abhanden gekommen. Für eine Weile schlenderte ich ziellos am Hafen umher. In einem Andenkenladen kaufte ich mir eine dunkle Sonnenbrille, dann stieg ich wieder die steile Treppe zum Ferienhaus hinauf.
Als die Sonne höher stieg, nahm die Hitze zu. Ich zog meine Badehose, ein kurzärmliges Baumwoll-T-Shirt und meine Joggingschuhe an, setzte die Sonnenbrille auf und nahm den schmalen Pfad über den Hügel zum Strand. Bald bereute ich es, keinen Hut mitgenommen zu haben, aber nun war es zu spät. Kaum war ich ein Stück bergauf gegangen, bekam ich schon Durst. Ich machte Halt, trank Wasser und rieb mir Gesicht und Arme mit dem Sonnenöl ein, das Miu mir gegeben hatte. Der Weg war von trockenem weißen Staub bedeckt, der von jedem Windstoß hoch aufgewirbelt wurde. Hin und wieder begegnete ich Einheimischen mit ihren Eseln. »Kalimera«, grüßten sie mich laut und vernehmlich, und in der Annahme, dass es sich so gehörte, erwiderte ich den Gruß.
Der Berg war mit niedrigem, hartem Gestrüpp bewachsen. An seinen felsigen Hängen standen mürrisch wirkende Schafe und Ziegen und erzeugten mit den Glöckchen, die sie um den Hals trugen, ein prosaisches Gebimmel. Gehütet wurden sie entweder von Kindern oder alten Leuten, die zu mir herüberschauten und leicht die Hand hoben, wie um mir ein Zeichen zu geben. Dann hob auch ich die Hand zum
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