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Sputnik Sweetheart

Sputnik Sweetheart

Titel: Sputnik Sweetheart Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Haruki Murakami
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Innentasche des Koffers steckte ein kleiner schwarzer Stoffbeutel, der, als ich den Reißverschluss öffnete, ein kleines grünes Tagebuch und eine Diskette preisgab. Zuerst schlug ich das Tagebuch auf. Es war in Sumires Handschrift abgefasst, aber es stand nichts darin, das mich irgendwie weiterbrachte. Wohin sie gefahren waren, was sie gemacht hatten. Wen sie kennen gelernt hatten. Namen von Hotels. Benzinpreise. Die Speisefolge des Abendessens. Weine und wie sie geschmeckt hatten. Die Aufzeichnungen waren knapp und in einfacher Sprache gehalten. Viele Seiten waren leer. Tagebuchführen gehörte offensichtlich nicht zu Sumires Stärken.
    Die Diskette trug außer dem Datum in Sumires deutlicher Schrift keine Inhaltsangabe. August 19**. Ich schob die Diskette in das PowerBook und öffnete sie. Zwei Dateien befanden sich darauf, keine hatte einen Namen, bis auf die Nummern 1 und 2.
    Bevor ich die Dokumente öffnete, schaute ich mich langsam im Zimmer um. Im Schrank hing Sumires Jacke. Ich sah ihre Goggles, ihr Italienisch-Wörterbuch, ihren Pass. In der Schublade lagen ihr Kugelschreiber und ihr Druckbleistift. Draußen vor dem Fenster am Schreibtisch erhob sich der felsige, sanfte Hang. Auf der Mauer des Nachbarhauses stolzierte eine schwarze Katze entlang. Nachmittägliche Stille umgab den schmucklosen quadratischen Raum. Als ich die Augen schloss, hörte ich das Rauschen der Wellen an dem menschenleeren Strand vom Morgen. Ich öffnete die Augen wieder und horchte auf die Wirklichkeit. Nichts war zu hören.
    Mit einem Doppelklick öffnete ich das erste Dokument.

11
    Dokument 1
     
    ‹Wenn jemand erschossen wird, fließt Blut›
     
    Als zeitweiliges Ergebnis verschiedener, zufälliger Ereignisse (abgesehen einmal von der Frage, ob es überhaupt Ergebnisse gibt, die nicht auf Zufällen beruhen) hat es mich auf diese Insel verschlagen. Auf diese winzige Insel, deren Namen ich bis vor kurzem noch nie gehört hatte. Es ist kurz nach vier Uhr morgens. Natürlich ist es noch nicht hell. Die braven Ziegen sind gemeinsam in friedlichen Schlaf gefallen, und die Olivenbäume vor meinem Fenster scheinen sich an der tiefen, satten Dunkelheit zu laben. Über den Dächern steht wie ein düsterer Priester der kalte Mond und hat seine Strahlenarme über das öde Meer ausgebreitet.
    Wie überall auf der Welt ist mir diese Tageszeit auch hier die liebste, weil sie mir ganz allein gehört. Dann setze ich mich an mein Pult, um zu schreiben. Bald wird es hell. Wie Buddha aus der Seite seiner Mutter (ich weiß nicht mehr, ob aus der rechten oder der linken) geboren wurde, schiebt sich die Sonne eines neuen Tages über die Bergkämme. Bald steht auch meine emsige Miu auf. Um sechs nehmen wir dann unser einfaches Frühstück ein und machen uns auf den Weg zum Märchenstrand hinter dem Berg. Doch bevor der übliche Tagesablauf mich einholt, kremple ich die Ärmel hoch, um noch ein Stück Arbeit zu erledigen.
    Außer ein paar ausführlichen Briefen habe ich schon ewig nichts für mich selbst geschrieben und ich bezweifle, dass es mir gelingen wird, alles so auszudrücken, wie es mir vorschwebt. Allerdings habe ich das eigentlich schon immer bezweifelt. Trotzdem kann ich das Schreiben nicht lassen.
    Warum nicht? Den Grund dafür kenne ich genau. Um etwas zu verstehen, muss ich dieses Etwas zuerst einmal niederschreiben.
    Das war schon so, als ich noch klein war. Wenn ich etwas nicht verstand, sammelte ich die zu meinen Füßen verstreuten Wörter eines nach dem anderen auf und fügte sie zu Sätzen zusammen. Und wenn mir diese Sätze nichts nützten, dann verstreute ich die Wörter noch einmal und setzte sie neu zusammen, bis ich sie endlich verstand wie andere Leute auch. Nie ist mir das Schreiben lästig gewesen oder schwergefallen. Wie andere kleine Kinder hübsche Steine oder Eicheln sammeln, war das Schreiben für mich ganz natürlich, so natürlich wie das Atmen. Automatisch griff ich zu Stift und Papier, reihte einen Satz an den anderen und dachte.
    Man könnte einwenden, dass dieser ganze Prozess zu viel Zeit in Anspruch nimmt, als dass man zu einem Schluss gelangen könnte. Er dauerte wirklich lange. So lange, dass man mich, als ich in die Grundschule kam, für »zurückgeblieben« hielt. Ich konnte mit den Kindern in meiner Klasse einfach nicht Schritt halten.
    Dieses zeitliche Hinterherhinken hörte fast ganz auf, als die Grundschule hinter mir lag, denn inzwischen hatte ich eine Methode gefunden, mit der übrigen Welt Schritt zu

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