Sputnik Sweetheart
Reaktion.
Sie nahm einen Notizzettel aus der Handtasche und schrieb mit Kugelschreiber auf Französisch: »Ich sitze auf dem Riesenrad im Vergnügungspark fest. Bitte, helfen Sie mir.« Dann warf sie ihn aus dem Fenster, und der Wind trug das Blatt in Richtung Stadt davon. Mit etwas Glück würde es vielleicht dort landen. Aber würde die Person, die ihn aufhob und las, ihm Glauben schenken? Auf die nächste Botschaft schrieb sie ihren Namen und ihre Adresse. Das wirkte vertrauenswürdiger, der Finder würde ihre Nachricht nicht so leicht für einen Scherz halten. Sie ließ etwa die Hälfte der Seiten ihres Notizbuches im Wind davonflattern.
Plötzlich hatte sie einen besseren Einfall. Sie holte ihre Brieftasche aus der Tasche, nahm alles bis auf zehn Franc heraus und legte einen Zettel hinein. »Über Ihnen sitzt eine Frau im Riesenrad fest. Bitte helfen Sie mir.« Dann warf sie die Brieftasche aus dem Fenster. Sie fiel senkrecht zu Boden, aber Miu konnte nicht erkennen, wohin genau. Sie hatte nicht einmal den Aufprall gehört. Sie steckte die gleiche Botschaft in ihr Portemonnaie und warf es ebenfalls hinunter.
Miu sah auf ihre Armbanduhr. Es war halb elf. Sie untersuchte den Inhalt ihrer Handtasche. Make-up, ein Spiegel, Pass, Sonnenbrille, Wagen- und Hausschlüssel. Ein kleines Taschenmesser zum Schälen von Obst. Eine winzige Zellophantüte mit drei Kräckern. Ein französisches Taschenbuch. Wenigstens hatte sie zu Abend gegessen und würde vor dem Morgen keinen Hunger bekommen. Und in der kühlen Luft würde sie auch nicht allzu sehr unter Durst leiden. Zum Glück musste sie noch nicht auf die Toilette.
Als sie so auf der Plastikbank saß, den Kopf an die Wand gelehnt, überkam sie Reue. Warum war sie nur in den Vergnügungspark gegangen und in dieses blöde Riesenrad gestiegen? Wäre sie nur nach dem Essen gleich nach Hause gegangen, dann könnte sie jetzt ein heißes Bad nehmen und danach im Bett lesen. Wie immer. Warum hatte sie das nicht getan? Und überhaupt – wie konnten die hier nur so einen versoffenen Alten beschäftigen?
Der Wind brachte das Riesenrad zum Quietschen. Miu versuchte das Fenster zu schließen, hatte aber nicht genügend Kraft. Also gab sie es auf und setzte sich auf den Boden. Hätte sie doch nur eine Wolljacke mitgenommen. Als sie aus dem Haus gegangen war, hatte sie noch kurz überlegt, ob sie eine dünne Strickjacke überziehen sollte. Aber der Sommerabend war ihr so mild erschienen, und das Restaurant lag nur ein paar Schritte von ihrer Wohnung entfernt. Zu diesem Zeitpunkt hatte sie noch nicht daran gedacht, einen Spaziergang zu machen oder mit dem Riesenrad zu fahren. Nun war alles schiefgegangen.
Um es sich etwas bequemer zu machen, nahm sie ihre Uhr, ihr schmales Silberarmband und ihre muschelförmigen Ohrringe ab und verstaute sie in ihrer Tasche, bevor sie sich in einer Ecke auf dem Boden zusammenkauerte. Wie gut wäre es, einfach bis zum Morgen durchzuschlafen, aber natürlich war an Schlaf nicht zu denken. Sie fröstelte und fürchtete sich auch etwas, denn hin und wieder brachte ein heftiger Windstoß das Riesenrad zum Schwanken. Sie schloss die Augen und spielte auf einer fiktiven Tastatur die Mozart-Sonate in C-Dur, KV 223. Aus irgendeinem Grund konnte sie das Stück noch aus ihrer Kindheit auswendig. Doch mitten im zweiten Satz wurde sie müde und schlief ein.
Wie lange sie geschlafen hatte, wusste sie nicht, aber sehr lange konnte es nicht gewesen sein. Als sie hochschreckte, brauchte sie einen Moment, um sich zu orientieren. Ach ja, sie saß auf dem Riesenrad fest. Sie nahm die Uhr aus der Handtasche und stellte fest, dass es nach zwölf war. Vom Schlafen in dieser unnatürlich verkrümmten Haltung tat ihr alles weh. Sie gähnte mehrmals, streckte sich und rieb sich die Handgelenke.
Da sie wahrscheinlich so schnell nicht wieder einschlafen würde, holte sie, um sich abzulenken, das Taschenbuch hervor und begann zu lesen. Es war ein neuer Krimi, den sie in einem Buchladen im Ort gekauft hatte. Welch ein Glück, dass die Riesenrad-Beleuchtung die ganze Nacht eingeschaltet blieb. Nach einigen Seiten wurde ihr bewusst, dass sie überhaupt nicht registrierte, was sie da las. Obwohl ihre Augen den Zeilen folgten, war sie mit ihren Gedanken ganz woanders.
Also gab sie auf und klappte das Buch zu. Dann hob sie den Kopf und betrachtete den nächtlichen Himmel, den eine dünne Wolkenschicht bedeckte, sodass kein Stern zu sehen war. Nur die Sichel des Mondes
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