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Sputnik Sweetheart

Sputnik Sweetheart

Titel: Sputnik Sweetheart Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Haruki Murakami
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schimmerte verschwommen durch die Wolkenschleier. In diesem Licht spiegelte sich ihr Gesicht seltsam klar in der Fensterscheibe. Miu starrte sich selbst ins Gesicht. Wie lange sie wohl hier noch festsitzen würde? Sie durfte nicht den Mut verlieren. Wenn alles erst vorbei war, würde sie über die ganze Geschichte lachen. Das musste man sich mal vorstellen: Gefangen in einem Riesenrad in der Schweiz.
    Doch es wurde keine Geschichte zum Lachen daraus. Und die eigentliche Geschichte beginnt hier erst.
     
    Kurze Zeit später nahm sie noch einmal ihr Fernglas zur Hand und schaute zum Fenster ihrer Wohnung hinüber. Keine Veränderung, wie zu erwarten, dachte sie und lächelte amüsiert.
    Zum Zeitvertreib richtete sie ihren Blick auf die anderen Fenster des Hauses. Da es schon nach Mitternacht war, schliefen die meisten Leute und die meisten Fenster waren dunkel, aber in einigen Wohnungen brannte doch noch Licht. Im unteren Stockwerk waren die Vorhänge zugezogen, doch die Leute ganz oben schien es nicht zu kümmern, wenn jemand hineinschaute. Sie hatten die Vorhänge zurückgezogen, um die kühle Nachtluft ins Zimmer zu lassen. Was sich darin abspielte, war deutlich sehen. (Wer rechnet auch schon damit, mitten in der Nacht von einem Riesenrad aus durch ein Fernglas beobachtet zu werden?) Miu hatte ohnehin kein Interesse daran, in das Privatleben anderer Menschen einzudringen, und wandte sich lieber wieder ihrem eigenen verlassenen Zimmer zu.
    Als sie den Blick wieder auf ihr eigenes Fenster richtete, stockte ihr vor Schreck der Atem. In ihrem Schlafzimmer stand ein nackter Mann. Zuerst glaubte sie, sie habe sich im Fenster geirrt, und suchte mit dem Fernglas panisch die anderen Fenster ab. Doch es war tatsächlich ihr eigenes Fenster. Die Möbel, die Blumen in der Vase, die Bilder an der Wand – alles wie bei ihr. Der Mann war Ferdinando. Ohne jeden Zweifel. Ferdinando setzte sich, nackt wie er war, auf ihr Bett. Seine Brust und sein Bauch waren schwarz behaart. Sein langer Penis hing lässig herab wie ein schlafendes Tier.
    Was macht dieser Mann in meiner Wohnung? Kalter Schweiß trat ihr auf die Stirn. Wie war er überhaupt hineingekommen? Miu war zuerst wütend, dann verstört. Dann sah sie die Frau. Sie trug eine weiße kurzärmlige Bluse und einen blauen Baumwollrock. Wer war sie? Miu umklammerte ihr Fernglas und fixierte die Frau. Sie war Miu selbst.
    Miu konnte nicht mehr klar denken. Ich bin hier und beobachte durch ein Fernglas meine Wohnung. Und was sehe ich? Mich selbst in meinem Schlafzimmer! Mehrmals stellte Miu die Schärfe des Fernglases nach, doch die Frau, die sie sah, war und blieb eindeutig sie selbst. Sie trug sogar die gleiche Kleidung. Ferdinando umarmte sie und hob sie aufs Bett. Unter Küssen entkleidete er Miu zärtlich, zog ihr die Bluse aus, den BH, den Rock. Er küsste ihren Hals und liebkoste dabei mit den Händen ihre Brüste. Darauf streifte er ihr geschickt das Höschen ab. Es war genau das gleiche, das sie im Augenblick trug. Miu rang nach Luft. Was ging dort drüben vor?
    Ferdinandos Penis wurde steif wie ein Stock. Ein sehr großer Penis. Einen so großen hatte sie noch nie gesehen. Er nahm Mius Hand und legte sie darum. Dann leckte und liebkoste er ausgiebig jeden Winkel von Mius Körper. Dazu nahm er sich reichlich Zeit, und sie leistete keinerlei Widerstand. Sie (also die Miu im Zimmer) gab sich seinen Zärtlichkeiten hin und schien sogar Lust zu empfinden. Mitunter streckte sie die Hand aus, um Ferdinandos Penis und Hoden zu streicheln. Dann öffnete sie ihm bereitwillig ihren Körper. Miu konnte den Blick nicht von dieser absonderlichen Szene abwenden. Ihr wurde übel. Ihre Kehle war so ausgedörrt, dass sie nicht schlucken konnte. Eine Welle von Übelkeit schwappte über sie hinweg, und fast hätte sie sich übergeben müssen. Die Szene erschien ihr grotesk und übertrieben wie auf einem allegorischen Gemälde aus dem Mittelalter und erfüllte sie mit Grauen. Das zeigen sie mir mit Absicht, dachte Miu. Sie wissen, dass ich zusehe. Dennoch vermochte sie den Blick nicht abzuwenden.
     
    Leere.
     
    Und was geschah dann?
    Daran kann sich Miu nicht erinnern. Von diesem Punkt an versagte ihr Gedächtnis.
    Ich weiß es nicht mehr, sagte Miu und verbarg ihr Gesicht in den Händen. Ich weiß nur, dass es abscheulich war. Ein Ich war hier und ein anderes Ich dort, und der Mann, dieser Ferdinando, machte alles Mögliche mit mir.
    Was? Was heißt das, alles Mögliche?
    Ich weiß es nicht

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