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Sputnik Sweetheart

Sputnik Sweetheart

Titel: Sputnik Sweetheart Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Haruki Murakami
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war herrlich. In der Nähe fand sie sogar eine Möglichkeit, Klavier zu üben. Die Miete war nicht gerade billig, aber wenn ihr das Geld ausging, konnte sie immer noch ihren Vater bitten.
    Miu begann ihr beschauliches Leben in der Stadt. Sie fuhr zum Musikfestival, ging in der Umgebung spazieren und lernte ein paar Leute kennen. Sie entdeckte ein hübsches Café-Restaurant, das sie öfter besuchte. Vom Fenster ihrer Wohnung aus konnte sie einen Vergnügungspark mit einem Riesenrad sehen. Die auf Gedeih und Verderb an das große Rad geketteten Gondeln mit den bunten Türen drehten sich unentwegt in bedächtigem Tempo durch die Luft. Sobald eine den höchsten Punkt erreicht hatte, begann unweigerlich der Abstieg. Der Gedanke, dass das Riesenrad sich nicht von der Stelle rührte und nur Aufwärts- oder Abwärtsbewegungen vollzog, bereitete Miu ein eigentümliches Wohlgefühl.
    Abends flammten an dem Riesenrad unzählige Lichter auf. Auch wenn der Park schloss und das Riesenrad aufhörte, sich zu drehen, wurde die Beleuchtung nicht abgeschaltet, und die Lichter funkelten bis zum Morgen, als wetteiferten sie mit den Sternen am Himmel. Dann saß Miu am Fenster, hörte Radio und beobachtete das unablässige Auf und Nieder des Riesenrads (oder seine reglose Form, wenn es abgeschaltet war).
     
    Eines Tages lernte sie einen gut aussehenden Mann um die fünfzig kennen. Er war groß, ein richtiger Latin-Lover-Typ mit einer ausgesprochen schönen Nase und schwarzem glatten Haar. Er sprach Miu in einem Café an. Woher sie stamme, fragte er. Aus Japan, erwiderte sie. Die beiden kamen ins Gespräch. Er hieß Ferdinando, kam aus Barcelona und arbeitete seit fünf Jahren als Möbeldesigner in der Stadt.
    Sein Ton war heiter, oft scherzhaft. Sie plauderten miteinander und verabschiedeten sich dann. Zwei Tage später begegneten sie sich im gleichen Café wieder. Seit seiner Scheidung lebte er allein, erfuhr Miu. Er habe Spanien verlassen, um irgendwo anders neu anzufangen. Der Mann machte eigentlich keinen besonders sympathischen Eindruck auf Miu. Sie hatte das Gefühl, dass er es auf sie abgesehen hatte. Sie konnte seine Begierde wittern. Das machte ihr Angst, und sie beschloss, das Café in Zukunft zu meiden.
    Dennoch begegnete sie Ferdinando auch danach so oft in der Stadt, dass ihr der Verdacht kam, er verfolge sie. Aber vielleicht bildete sie sich das ja nur ein. In einer so kleinen Stadt war es nicht ungewöhnlich, dass man sich öfter über den Weg lief. Sobald er Miu sah, lächelte er und grüßte liebenswürdig. Sie grüßte zwar zurück, doch allmählich wurde er ihr unheimlich, und sie fühlte sich belästigt. Dieser Mann namens Ferdinando bedrohte auf einmal ihr friedliches Leben in der kleinen Stadt. Wie ein falscher Akkord am Anfang eines heiteren Musikstücks begann ein ominöser Schatten ihre strahlende Sommerlaune zu verfinstern.
     
    Dabei war Ferdinando nur Teil eines sehr viel größeren Schattens. Nachdem sie gerade erst zehn Tage in dem Städtchen verbracht hatte, begann sie eine Art Abneigung gegen ihr Leben dort zu verspüren. Der bis in jeden Winkel bezaubernde Ort kam ihr auf einmal engstirnig und selbstgerecht vor. Die Leute waren zwar höflich und liebenswürdig, aber sie spürte ein unterschwelliges Vorurteil gegen sie als Asiatin. Der Wein, den sie im Restaurant trank, hatte einen sonderbaren Nachgeschmack. In dem Gemüse, das sie kaufte, waren Würmer. Den Konzerten bei dem Musikfestival fehlte es an Esprit, und auf ihre eigene Musik konnte Miu sich auch nicht mehr konzentrieren. Sogar ihre Wohnung, in der sie sich anfangs so wohl gefühlt hatte, kam ihr jetzt armselig und geschmacklos eingerichtet vor. Alles hatte seinen anfänglichen Glanz eingebüßt. Der unheilvolle Schatten breitete seine Schwingen immer weiter über sie aus, er wurde unentrinnbar.
    Immer wieder kam es vor, dass nachts das Telefon schrillte, aber wenn sie abhob und sich meldete, wurde aufgelegt. Sie vermutete, dass Ferdinando dahintersteckte, hatte aber keinen Beweis dafür. Wie sollte er überhaupt an ihre Telefonnummer gelangt sein? Sie hatte ein altmodisches Telefon, das man nicht einfach abstellen konnte. Miu konnte nicht mehr richtig schlafen, sodass sie Schlaftabletten nehmen musste und schließlich den Appetit verlor.
     
    Ich muss so schnell wie möglich hier raus, sagte sie sich. Dennoch war sie wie gelähmt und konnte sich nicht aufraffen, die Stadt zu verlassen. Sie zählte sich die Gründe auf, die gegen eine Abreise

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