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Sputnik Sweetheart

Sputnik Sweetheart

Titel: Sputnik Sweetheart Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Haruki Murakami
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ihn wegen seines liebenswerten Wesens immer sehr gern gehabt, sodass sie sich als Lebenspartner gar keinen anderen Menschen vorstellen konnte. Unter praktischen Gesichtspunkten war es für sie als Leiterin des Familienunternehmens auch von einiger Bedeutung, verheiratet zu sein.
    »Mein Mann und ich sehen uns an den Wochenenden und kommen im Allgemeinen gut miteinander aus. Wir sind gute Freunde, Lebenspartner, die ihre Zeit miteinander verbringen. Wir sprechen miteinander und vertrauen uns gegenseitig. Wie er seine Sexualität auslebt, weiß ich nicht, aber es interessiert mich auch nicht sonderlich. Wir haben jedenfalls keinerlei sexuelle Beziehung und berühren uns auch nie. Natürlich bedrückt mich das, aber ich kann seinen Körper nicht berühren. Ich will es einfach nicht.«
    Erschöpft bedeckte Miu ihr Gesicht mit den Händen und schwieg. Draußen wurde es allmählich hell.
    »Ich war früher lebendig und bin es auch jetzt, während ich dir hier gegenübersitze und mit dir rede. Aber die Person, die du vor dir siehst, bin nicht ich. Sie ist nur ein Schatten meines früheren Ichs. Du lebst wirklich. Ich nicht. Selbst meine eigene Stimme, meine eigenen Worte hallen so dumpf in meinen Ohren wie ein Echo.«
    Stumm legte ich den Arm um Mius Schultern. Ich konnte keine Worte finden und drückte sie nur lange an mich.
    Ich liebe Miu. Natürlich liebe ich die Miu auf dieser Seite, aber die Miu auf der anderen Seite liebe ich genauso. Während ich darüber nachdenke, habe ich das Gefühl, selbst krachend in zwei Hälften zu zerbersten. Als ob Mius Gespaltenheit auf mich überginge, sich in mir fortsetzen würde. Gnadenlos, unausweichlich.
    Eine Frage bleibt. Falls die Seite, auf der sich Miu hier und jetzt befindet, nicht die wirkliche, ursprüngliche Welt ist (das heißt, falls unsere Welt eigentlich die falsche ist), was bin dann ich, die zur gleichen Zeit in so enger Verbindung mit ihr existiert? Was bin ich?

13
    Ich las beide Texte zweimal. Das erste Mal überflog ich sie nur, beim zweiten Mal las ich langsam und prägte mir jedes Detail genau ein. Beide Dokumente stammten eindeutig von Sumire. Überall stieß ich auf typische Begriffe und Formulierungen, die nur sie benutzte, obwohl der Tenor des Ganzen sich in gewisser Weise von Sumires sonstigen Texten unterschied. An Sumires Urheberschaft bestand kein Zweifel, auch wenn Zurückhaltung und Distanz sonst für ihre Arbeiten nicht charakteristisch waren.
    Ich zögerte nur kurz, dann steckte ich die Diskette in meine Reisetasche. Sollte Sumire unbeschadet zurückkehren, konnte ich sie ihr immer noch zurückgeben. Das Problem war eher, was geschehen würde, wenn sie nicht zurückkam. In diesem Fall würde wahrscheinlich ihr Gepäck durchsucht, und jemand fände die Diskette, deren Inhalt wahrlich nicht für fremde Blicke bestimmt war.
    Nachdem ich Sumires Texte gelesen hatte, hielt ich es im Haus nicht mehr aus. Ich zog ein frisches Hemd an, verließ das Haus und lief die Treppe hinunter in den Ort. In der Bank am Hafen wechselte ich einen Hundert-Dollar-Reisescheck, kaufte mir eine englische Boulevardzeitung und las sie im Café unter einem Sonnenschirm. Ich rief den schläfrigen Kellner und bestellte eine Limonade und ein Käsesandwich. Bedächtig notierte er mit einem Bleistiftstummel die Bestellung. Auf dem Rücken seines weißen Hemdes hatte sich ein großer Schweißfleck ausgebreitet, der eine dringliche Botschaft zu verkünden schien.
    Nachdem ich die Zeitung zur Hälfte mechanisch durchgeblättert hatte, starrte ich geistesabwesend auf die nachmittägliche Hafenszene. Ein magerer schwarzer Hund kam des Weges, schnupperte an meinen Beinen und trottete davon, als hätte er das Interesse verloren. Nichts regte sich an diesem eintönigen Sommernachmittag. Die Einzigen, die ein wenig Bewegung in die Szenerie brachten, waren der Kellner und der Hund, aber wie lange sie noch durchhalten würden, war fraglich. Der Alte am Kiosk, der mir gerade noch die Zeitung verkauft hatte, war – die Beine weit von sich gestreckt – auf seinem Stuhl unter dem Sonnenschirm eingeschlafen. Auf dem Platz stand, klaglos wie stets der prallen Sonne ausgesetzt, die Statue des Helden.
    Ich kühlte die Handflächen und die Stirn an der kalten Limonade und überlegte, welche Verbindung es zwischen Sumires Verschwinden und dem, was sie geschrieben hatte, geben mochte.
    Sumire hatte lange nicht geschrieben. Seit sie Miu auf der Hochzeit begegnet war, hatte sie das Bedürfnis danach

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