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Sputnik Sweetheart

Sputnik Sweetheart

Titel: Sputnik Sweetheart Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Haruki Murakami
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Beine nicht mehr meine Beine.
    Meinem ganzen in bleiches Mondlicht getauchten Körper fehlte es an warmem Leben, wie einer Tonfigur. Als hätte ein westindischer Zauberer oder sonst jemand mich verhext und stattdessen einem Erdklumpen flüchtiges Leben eingehaucht. Mein wahrer Lebensfunke war erloschen, mein wirkliches Leben irgendwo in Schlaf gefallen, ein gesichtsloser Jemand hatte es in seine Aktentasche gestopft und war im Begriff, sich damit aus dem Staub zu machen.
    Ich bekam keine Luft mehr, und ein heftiges Frösteln schüttelte mich. Was geschah mit mir? Jemand hatte meine Zellen umgestaltet, die Nähte meines Bewusstseins aufgetrennt. Außerstande, einen klaren Gedanken zu fassen, gelang es mir in letzter Sekunde, hastig an meinen gewohnten Zufluchtsort zu entkommen, indem ich einmal tief Luft holte und mich auf den Grund meines Bewusstseins sinken ließ. Indem ich mit beiden Armen das schwere Wasser teilte, tauchte ich hinab und klammerte mich dort an einen großen Felsen. Das Wasser drängte mit aller Gewalt gegen meine Trommelfelle. Die Augen fest geschlossen, hielt ich den Atem an und widerstand. Als ich mich einmal dazu entschlossen hatte, fiel es mir nicht mehr schwer, und ich gewöhnte mich rasch an den Wasserdruck, die fehlende Luft, die dunkle Eiseskälte, die Signale, die das Chaos aussandte. Seit meiner Kindheit habe ich die gleiche Situation viele Male erlebt und gemeistert.
    Die Zeit kehrte sich um, verstrickte sich, riss ab und begann wieder, eine Richtung zu finden. Die Welt war von grenzenloser Ausdehnung und zugleich eng begrenzt. Viele scharfe Bilder – sinnlose Bilder – schwebten lautlos wie Quallen oder dahintreibende Seelen durch dunkle Gänge. Aber ich durfte sie nicht ansehen, denn bei der geringsten Beachtung würden sie sich sofort einen Sinn aneignen, und Sinn war etwas Zeitgebundenes, das mich, ob ich es wollte oder nicht, unweigerlich zurück an die Wasseroberfläche drängen würde. Also verschloss ich meine Sinne, wappnete mich gegen ihre Versuchung und ließ die Bilder ungesehen vorüberziehen.
     
    Wie lange ich so verharrte, weiß ich nicht. Doch als ich mich an die Oberfläche treiben ließ, die Augen öffnete und ruhig einatmete, war die Musik verstummt. Anscheinend hatten die Musiker ihr geheimnisvolles Konzert beendet. Ich lauschte. Nichts war zu hören. Absolute Stille. Keine Musik, keine Stimmen, kein Wind.
    Als ich auf die Uhr sehen wollte, merkte ich, dass ich sie neben dem Kopfkissen vergessen hatte.
    Am Himmel schienen nun viel mehr Sterne zu stehen als zuvor. Vielleicht bildete ich mir das auch nur ein. Überhaupt kam es mir so vor, als stünde ich unter einem ganz anderen Himmel. Das sonderbare Gefühl der Entfremdung von mir selbst war völlig verschwunden. Ich streckte mich, winkelte die Arme an, bewegte die Finger. Kein Ungleichgewicht mehr. Nur mein Hemd war unter den Achseln kühl und klamm vom Schweiß.
    Ich erhob mich aus dem Gras und stieg den Weg weiter hinauf. Wo ich schon so weit gekommen war, wollte ich wenigstens noch bis zum Gipfel steigen, um mich zu vergewissern, ob dort wirklich jemand Musik gemacht hatte. Fünf Minuten später stand ich oben. Vom Südhang aus hatte man einen Blick aufs Meer, den Hafen und die schlafende Stadt. Einige spärliche Straßenlaternen erleuchteten die Straße am Wasser. Auf der anderen Seite des Berges herrschte völlige Dunkelheit. Es gab nicht ein einziges, noch so winziges Licht. Angespannt starrte ich in die Dunkelheit, bis schließlich im Mondschein die Umrisse einer Hügelkette sichtbar wurden. Dahinter herrschte noch tiefere Dunkelheit. Ich konnte keinerlei Anzeichen dafür entdecken, dass in der Nähe gerade noch ein lebhaftes Fest stattgefunden hatte.
    Inzwischen war ich nicht einmal mehr sicher, ob ich die Musik, die noch immer leise in meinen Ohren nachhallte, wirklich gehört hatte. Mit der Zeit wurde ich immer unsicherer. Vielleicht hatte die Musik ja nie existiert. Oder sie war eine Illusion, und meine Ohren hatten irrtümlich etwas aus ganz anderen Orten und Zeiten wahrgenommen. Wer würde sich schon um ein Uhr nachts auf einen Berg stellen und Musik machen?
    Als ich von der Hügelkuppe aus in den Himmel sah, wirkte der Mond beängstigend nah, bedrohlich wie eine gepanzerte Gesteinskugel, deren Haut die Zeit erbarmungslos zerfressen hatte. Die unheilvollen Schatten auf seiner Oberfläche erschienen mir wie blinde Krebszellen, die sich nach allem ausstreckten, was lebendige Wärme ausstrahlte. Sein

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