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Sputnik Sweetheart

Sputnik Sweetheart

Titel: Sputnik Sweetheart Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Haruki Murakami
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hübsch braun gebrannt und vernünftig. Sicher sind Sie bei Eltern und Schülern sehr beliebt. Ich kann nicht sagen, wieso, aber ich wittere irgendetwas Undurchsichtiges an Ihnen, das mir im Magen liegt. Nehmen Sie es nicht persönlich, aber irgendetwas an Ihnen beunruhigt mich. Was könnte das sein?«
    »Dürfte ich Ihnen eine persönliche Frage stellen?« sagte ich.
    »Bitte, bitte.«
    »Wenn die Menschen nicht gleich sind, wo würden Sie sich einordnen?«
    Herr Nakamura nahm einen tiefen Zug von seiner Zigarette, schüttelte den Kopf und blies den Rauch so langsam aus, als würde er jemanden zu etwas zwingen. »Ich weiß nicht. Aber keine Angst – wir beide würden bestimmt nicht auf einer Stufe stehen.«
     
    Meine Freundin hatte ihren roten Toyota Celica auf dem Parkplatz des Supermarkts abgestellt. Ich nahm sie beiseite und bat sie, ohne ihren Sohn nach Hause zu fahren, damit ich allein mit ihm reden konnte. Anschließend würde ich ihn nach Hause bringen. Sie nickte und wollte etwas sagen, unterbrach sich aber, stieg in den Wagen, nahm ihre Sonnenbrille aus der Handtasche und ließ den Motor an. Als sie weg war, ging ich mit Rübe in ein freundliches kleines Café, das ich gerade entdeckt hatte. Die klimatisierte Luft tat gut, und ich bestellte einen Eistee für mich und ein Eis für den Jungen. Nachdem ich meinen obersten Hemdknopf geöffnet hatte, nahm ich die Krawatte ab und steckte sie in die Jackentasche. Rübe hüllte sich weiter in Schweigen. Seine Augen waren noch genauso ausdruckslos wie vorher in dem Büro des Supermarkts. Anscheinend würde das noch eine Weile so bleiben. Die kleinen dünnen Hände brav in den Schoß gelegt, starrte er unaufhörlich zu Boden. Ich trank meinen Eistee, aber Rübe rührte sein Eis nicht an, das allmählich auf dem Teller dahinschmolz, ohne dass er es zu bemerken schien. Eine Weile saßen wir einander gegenüber wie ein Ehepaar, das sich nichts zu sagen hat. Sooft die Kellnerin an unserem Tisch vorbeiging, machte sie ein gestresstes Gesicht.
     
    »Alles Mögliche kann passieren«, sagte ich endlich. Es war nicht meine Absicht, den Anfang zu machen, die Worte drängten sich spontan auf meine Lippen.
    Rübe hob langsam den Kopf und sah mich an, sagte aber nichts. Ich schloss die Augen, seufzte und schwieg auch für einen Moment.
    »Ich hab noch keinem davon erzählt, aber ich war in den Ferien in Griechenland«, sagte ich. »Du weißt doch, wo Griechenland liegt? Wir haben in Erdkunde mal ein Video darüber gesehen. Es ist in Südeuropa, am Mittelmeer, und hat viele Inseln, und Oliven wachsen dort. 500 v. Chr. hatte die antike Kultur ihren Höhepunkt. In Athen wurde die Demokratie geboren. Sokrates hat Gift genommen und starb. Ich war nicht zum Vergnügen dort, auch wenn es wunderschön ist. Eine Freundin von mir ist auf einer kleinen Insel verschwunden, und ich bin hingefahren, um sie zu suchen. Leider haben wir sie nicht gefunden. Sie hat sich einfach aufgelöst. Wie Rauch.«
    Rübe öffnete ein bisschen den Mund und sah mich an. Sein Gesicht war noch immer versteinert und leblos, aber in seinen Augen schien ein winziger Funke aufzublitzen. Er hatte mir zugehört.
    »Ich hatte diese Freundin gern. Sehr gern sogar. Für mich war sie der wichtigste Mensch auf der Welt. Deshalb bin ich nach Griechenland geflogen. Um sie zu suchen. Ohne Erfolg. Ich habe sie nicht gefunden. Jetzt, wo sie nicht mehr da ist, habe ich keinen Freund mehr. Nicht einen einzigen.«
    Ich sprach nicht mehr zu Rübe, sondern zu mir selbst. Ich dachte laut.
    »Weißt du, was ich jetzt am liebsten machen würde? Auf einen hohen Punkt steigen. Auf eine der Pyramiden vielleicht, um einen möglichst weiten Blick zu haben. Ich möchte hoch oben stehen und die ganze Welt sehen, alle Landschaften, die es gibt. Einfach alles, auch das, was irgendwann einmal verloren gegangen ist. Oder – ich weiß nicht. Vielleicht möchte ich das auch gar nicht. Vielleicht möchte ich gar nichts mehr sehen.«
    Die Bedienung räumte Rübes geschmolzenes Eis ab und legte mir die Rechnung hin.
    »Ich habe immer – schon als Kind – das Gefühl gehabt, allein zu sein. Klar, ich hatte Eltern und auch eine Schwester, aber wir vertrugen uns nicht besonders. Richtig gut verstanden habe ich mich mit niemandem aus meiner Familie. Deshalb stellte ich mir oft vor, ich wäre adoptiert worden. Meine Eltern hätten mich von irgendwelchen entfernten Verwandten übernommen. Oder sie hätten mich aus dem Waisenhaus geholt. Heute weiß

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