ST - Die Welten von DS9 4: Bayor - Fragmente und Omen
bevorstehende Konfrontation mit Marja dachte. Als sie am gestrigen Nachmittag ankam, war Tante Marja im Tempel gewesen, und bei ihrer Rückkehr hatte Rena bereits geschlafen. Vierzehn Stunden waren seitdem vergangen.
Bilder aus der vorletzten Nacht trieben an die Oberfläche ihres Bewusstseins: Jacob. Er dürfte inzwischen in Mylea sein. Ob sie ihn wiedersah? Nicht, dass er – oder sie – Wert darauf legen würde. All diese Zeit war sie in Gesellschaft des Sohnes des Abgesandten gewesen, ohne es zu wissen! Rückblickend betrachtet, konnte Rena ihn nicht direkt des Lügens bezichtigen, aber er hatte ihr etwas verschwiegen. Gut, hin und wieder hatte er vielleicht Hinweise fallen lassen. Doch es beschämte Rena, sie nicht früher erkannt zu haben.
Sie entsann sich des einen Holos, das die Nachrichtenfeeds vom Abgesandten und seiner neu geborenen Tochter hatten verbreiten dürfen – des Wegbereiters, wie manche glaubten. Im Laufe der Jahre war Sisko sehr, sehr oft fotografiert worden, doch die Presse zeigte sich bezüglich seiner Familie kooperativ und lichtete sie nie ab. Sie konnte nicht anders, als diesem seinem Wunsch zu entsprechen, hatte Sisko doch eines klar gemacht: Sowie der erste Nachrichtenfeed anders handelte, würde es für keinen mehr Informationen geben. Vielleicht, fand Rena, hatte sie Jacob deswegen nicht gleich erkannt wie Halar. Halar hatte den Großteil ihrer Jahre im Komm-Netz verbracht, jede Datei und jedes Bild gespeichert, das sie finden konnte, und war darüber zur Sisko-Expertin geworden. Rena wiederum hatte sich allein auf die Schlagzeilen beschränkt und ihre restliche Aufmerksamkeit lieber ihrer Kunst und Kail gewidmet. Nun, da sie beide erwachsen waren, schien es nur folgerichtig, dass ihre kindlichen Obsessionen sie nach wie vor definierten. Halar studierte, um Prylarin zu werden, Rena malte noch immer und war nach wie vor mit Kail zusammen – zumindest irgendwie. Oder vielleicht auch nicht.
Seufzend sank sie zurück auf das enge Bett, dann stemmte sie sich hoch und schlurfte über den kalten Holzboden in ihr winziges Bad. Dort band sie ihr struppiges schwarzes Haar zu einem lockeren Knoten, schrubbte sich schnell das Gesicht, nahm ihre Allergiemedizin und putzte sich die Zähne, ohne an etwas Bestimmtes zu denken. Stattdessen tanzten ein Dutzend verschiedene Dinge durch ihren Geist. Erst als die gröbste Arbeit getan war, wagte Rena den Blick in den Spiegel und stellte zufrieden fest, dass sie besser als erwartet aussah. Ihr milchkaffeefarbener Teint, unterstützt durch ein wenig Puder, verbarg die Augenringe. Die Fältchen waren allerdings ein ganz eigenes Problem. Rena blinzelte, starrte sich an und entsann sich einer Bemerkung ihres Großvaters: Was zählt, sind nicht die Jahre, sondern die gereisten Strecken. Vorigen Monat hatte sie das erste weiße Haar an sich entdeckt, nun sah sie, dass es nachgewachsen war. Marja hatte berichtet, ihre Schwester, Renas Mutter, sei bereits mit dreißig vollkommen weiß gewesen. Rena hoffte, dabei sei auch das Umfeld ein Faktor gewesen, schließlich hatte ihre Mutter ein weitaus schwereres Los zu ertragen gehabt als sie selbst.
Als sie noch ein Mädchen war, hatten Marja und Topa ihr Geschichten über ihre Eltern Lariah und Jiram erzählt – so oft, dass sie Rena fast wie fiktive Figuren vorgekommen waren. Die Kerngeschichte ging in etwa so: Lariah, Renas Mutter, und ihr Vater Jiram wuchsen während der Besatzung auf. Am Tag fischte Jiram wie die meisten Männer, und Lariah arbeitete mit Topa und Marja in der Bäckerei. Sie machte cardassianisches
Scorca
, das Fladenbrot, das die Truppen der Besatzer so liebten. »Sie waren die tapfersten Personen der ganzen Stadt«, hatte Topa wieder und wieder betont, wenn er von ihnen sprach. »Sie hätten wie alle anderen sein und schlicht tun können, was man ihnen auftrug, aber sie wollten ein besseres Leben für alle.«
»Besonders für mich!«, hatte Rena stets eingeworfen, wie nach Drehbuch.
»Besonders für dich«, hatte Topas Erwiderung gelautet.
Niemand in Mylea war mutig genug, sein erträgliches Leben zu riskieren. Alle wussten von den schlechten Lebensbedingungen in den großen Städten, von den Industriezentren und den Bergbaulagern. Niemand wagte etwas. Niemand sonst.
Doch manchmal, so wusste die Geschichte, war Mut nicht genug. Eines Nachts beging jemand einen Fehler, oder vielleicht hatten die Cardassianer auch einfach nur Glück. Lariah und Jiram hatten jedenfalls eine Gruppe
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