St. Leger 01 - Der Fluch Der Feuerfrau
verlangen.« Wohl kaum, dachte sie.
»Mylord weilt zur Zeit nicht auf der Burg, Monsieur. Er hat andernorts wichtige Geschäfte zu erledigen.« Madeline schämte sich dieser Lüge, aber der Franzose wirkte nach dieser Auskunft sichtlich erleichtert. Sie war froh, ihm nicht die Wahrheit gestehen zu müssen. Nachdem Anatole sie gestern Nacht verlassen hatte, hatte die junge Frau vergeblich versucht, sich in den Schlaf zu weinen.
Als das erste Morgenlicht durch das Fenster schien, fühlte sie sich verzweifelt genug, sein Zimmer aufzusuchen, um sich zu entschuldigen.
Doch sie fand sein Bett unbenutzt vor. Irgendwann mitten in der Nacht musste er hinaus in Sturm und Dunkelheit gelaufen sein.
Niemand in Castle Leger hatte ein Vorstellung, wohin Seine Lordschaft gegangen sein oder wann er zurückkehren könnte.
Madeline befielen die schrecklichsten Gedanken. Anatole habe sich irgendwo im Moor verirrt oder sei gar die Klippen hinuntergestürzt - und das alles wäre allein ihre Schuld. Von der Dienerschaft wagte es keiner, seinen Zorn auf sich zu ziehen und sich auf die Suche nach ihm zu machen. Madeline war schließlich so mit den Nerven fertig, dass sogar der alte Spötter Trigghorne Mitleid bekam. »Regt Euch nicht auf, Mistress. Der Master hat so diese Angewohnheit, mal allein durch die Natur zu laufen. Er kehrt schon zurück, wenn er sich dazu bereit fühlt. Ihr werdet Euch noch daran gewöhnen.« Nein, niemals!
Verdammter Kerl, dachte sie. Würde er jedes Mal davonrennen, nachdem sie sich geliebt hatten? Mit solchen Gedanken im Kopf vergaß sie ihren Gast und trat ans Fenster, um die Gardine ein Stück beiseite zu ziehen und auf die Auffahrt zu spähen. Doch der Weg war noch genauso leer wie bei den anderen dutzend Malen, als sie nachgesehen hatte.
Sie ließ den Vorhang los und verwünschte zum wiederholten Mal den Umstand, dass sie den Mund nicht hatte halten können. Wann würde sie es je lernen, nicht mit allem herauszuplatzen, was ihr gerade in den Sinn kam? Selbst ihr Bruder hatte ihr mehrfach vorgehalten, stets zu glauben, alle Antworten zu kennen und damit nicht hinterm Berg halten zu können.
Mittlerweile musste sie sich eingestehen, nur sehr wenig über Menschen, die Ehe und die Liebe zu wissen.
Die Liebe? Sie war doch nicht etwa verliebt? Wie konnte jemand sein Herz an Anatole St. Leger verschenken, einen Mann, der viel zu düster und einfach nicht zu verstehen war?
»Madame?«
Madeline kehrte dem Fenster den Rücken zu und schämte sich dafür, ihren Gast vernachlässigt zu haben. Der Franzose hatte Platz genommen. »Vielleicht darf ich einen Moment bleiben, oui?«
»Das wäre wunderbar«, entgegnete sie automatisch und bedauerte, Rochencoeur nicht gehen lassen zu haben, als er noch dazu bereit gewesen war.
Doch sie ließ sich ihm gegenüber auf dem Sofa nieder und war gewillt, eine perfekte Gastgeberin zu sein. Letzte Nacht hatte ihr das eindeutig weniger Mühe bereitet, aber da war Yves auch erheblich redseliger gewesen. Schließlich räusperte er sich und sagte: »Ich möchte nicht zu aufdringlich erscheinen, Madame, aber ich würde Euch auch gern ein Geschenk machen.« Damit griff er in seinen Rock und zog ein dünnes Buch heraus und legte es zwischen sie und ihn auf den Beistelltisch. »Nur zu, nehmt es bitte an Euch.«
Madeline hielt das Bändchen schließlich in den Händen. Es war in blaues Leder eingebunden und mit goldenen Lettern versehen. Bei dem Werk handelte es sich um eine französische Übersetzung von Elektra und Orestes, dem altgriechischen Drama um zwei Kinder, die den Mord an ihrem Vater rächen wollen.
»Monsieur, das muss eines Eurer wertvollsten Bücher sein. So etwas kann ich nicht annehmen.«
»Mais non.« Yves weigerte sich, das Bändchen wieder an sich zu bringen. »Meine teure Gönnerin hat es mir einmal geschenkt, und jetzt sollt Ihr es haben. Denn ebenso wie la Comtesse Sobrennie seid Ihr eine Lady, die etwas von der Schriftstellerei und der Philosophie versteht. Eine Gabe, die man leider viel zu selten antrifft.« Daran hegte Madeline keinen Zweifel, vor allem, wenn sie daran dachte, dass Rochencoeur ausgerechnet Roman zum Freund gewonnen hatte. Da der Franzose das Buch partout nicht zurücknehmen wollte, akzeptierte sie es schließlich mit einem gemurmelten Dank.
Während sie höflicherweise noch einen Blick hineinwarf, fiel ihr aus dem Augenwinkel auf, dass Yves sie ganz eigenartig betrachtete.
»Vergebung, Madame, aber ich kann nicht umhin, festzustellen,
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