St. Leger 01 - Der Fluch Der Feuerfrau
erstickter Schrei aus ihrer Kehle, doch als sie sich geräuspert hatte, klang sie schon deutlich lauter.
»Hier sind wir! Hier!«
Dann wandte sie sich an Anatole. »Haltet durch, Mylord. Alles wird gut. Marius ist schon auf dem Weg hierher!« Aber er schüttelte nur den Kopf. »Man kann einer Vision nicht trotzen, meine Liebe.«
Seine Augen trübten sich, und sie wusste, dass sie ihn verlor. »Diesmal bezwingen wir sie, hört Ihr mich, Anatole? Ihr werdet nicht sterben, bloß weil ein dummes Stück Kristall das prophezeit hat. Ich lasse das nicht zu, denn ich liebe Euch viel zu sehr!«
»Auf immer und ewig?«, fragte er matt. »Ja, und auch noch länger.«
Seine Augen schlössen sich, aber er brachte ein Lächeln zustande, während ihn die willkommene Dunkelheit umfing.
Epilog
Die Beerdigung fand eine Woche später statt, und nur Madeline und Fitzleger nahmen daran teil. Die Sonne schien an diesem Tag hell und schickte ihr Licht durch die Baumwipfel, während die beiden an dem Grab standen. Während sie zusah, wie Evelyns sterbliche Überreste hinabgelassen wurden, fragte sie sich, ob es richtig war, der Frau die letzte Ehre zu erweisen, die versucht hatte, ihren Mann zu ermorden.
Aber Madeline konnte die Mortmain nicht hassen, sondern nur Trauer für die Frau empfinden, die allein gelassen und furchtsam die Folgen eines Wahnsinns hatte tragen müssen - den Wahnsinn ihres Vaters, die St. Legers zu vernichten.
Man hatte Evelyn am Strand gefunden, wo die Wellen sie an Land gespült hatten. Von ihr war wenig übrig geblieben, und man hatte sie allein anhand ihres feuerroten Haars identifizieren können.
Im Cottage war man auf die wenige Habe gestoßen, die sie zurückgelassen hatte. Schminkkoffer, Perücken, ein paar Münzen und die Miniatur von einem lockenköpfigen Knaben. Der Sohn hielt sich irgendwo in Frankreich auf und wartete vergeblich darauf, dass seine Mutter zurückkehrte.
Madeline hielt das kleine Bild in der Hand, als der Reverend und sie den Friedhof verließen. Endlich fand sie Gelegenheit, ihm die Fragen zu stellen, die ihr schon den ganzen Morgen auf der Zunge lagen. »Habt Ihr mit Bess gesprochen?«
»Ja. Sie konnte mir aber nur wenig Neues über die letzte der Mortmains berichten. Auch verhielt sich Bess sehr trotzig und wollte mir kaum Antwort geben. Sie wird dieses Land verlassen und oben im Norden ein neues Leben beginnen. Ich hatte den Eindruck, sie war froh, von hier fortzukommen.«
»Es erleichtert mich, das zu hören«, meinte die junge Frau, aber auch sie hatte sich erhofft, mehr zu erfahren. Der Bericht des Agenten, den man unter Romans Angelegenheiten gefunden hatte, wusste kaum etwas über Evelyn zu sagen, außer dass sie zuletzt in Paris gelebt habe. Von einem kleinen Sohn stand nichts darin zu lesen. Sie hielt Fitzleger die Miniatur hin. »Bei der Abendgesellschaft auf Castle Leger hat Evelyn mir das hier gezeigt. Der Junge heißt Raphael.«
»Ein hübscher Knabe, aber seid Ihr Euch sicher, dass es ihn überhaupt gibt? Vielleicht war er nur ein weiterer Bestandteil ihres teuflischen Plans.«
»Nein, Sir, dafür hat sie zu stolz von ihm gesprochen. Ich bin der festen Überzeugung, dass er existiert. Wir müssen ihn finden.«
»Das wird nicht einfach sein. Und bedenkt, dass er wahrscheinlich mit dem Gift des Hasses auf alle St. Legers infiziert wurde.«
»Diese Familienfehde muss jetzt ihr Ende finden. Wenn dieser Hass wie eine Krankheit ist, dann könnten Liebe und Wärme die rechte Medizin dagegen sein. Anatole und ich sind entschlossen, den Knaben zu finden und bei uns aufzunehmen.«
»Dazu kann ich Euch nur Gottes Segen wünschen. Wenn ich in irgendeiner Weise behilflich sein kann, dann lasst es mich bitte wissen.«
Madeline hakte sich bei dem alten Mann unter, und dieser fragte:
»Wie geht es meinem jungen Herrn heute?«
»Oh, sehr gut. Marius ist ganz begeistert von Anatoles
Fortschritten.«
»Und sicher auch erleichtert. Ich wage die Vermutung, dass Seine Lordschaft nicht der geduldigste und folgsamste aller Patienten ist.«
»Nein, da irrt Ihr, Mr. Fitzleger. Mein Gemahl unterwirft sich jeder Anordnung des Arztes.« Der Reverend zog verwundert die buschigen Brauen hoch, und Madeline konnte es ihm nicht verdenken. In den letzten Tagen verhielt sich Anatole so still, dass es selbst sie manchmal ein wenig irritierte.
Natürlich hatte sie selbst immer schon den Großteil des Redens übernommen, aber ihr Gemahl schien seit dem Mordanschlag noch schweigsamer
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