St. Leger 01 - Der Fluch Der Feuerfrau
sie seinen Wutausbruch über sich ergehen lassen. »Habt Ihr Euch je mit griechischen Mythen befasst?«
»W-was?«
»Kennt Ihr die Geschichte von Psyche und Eros?« Madeline blinzelte verwirrt. Sie hatte dem Gebot des Kriegerfürsten getrotzt, und jetzt wollte er mit ihr über griechische Sagen diskutieren?
»J-ja... darin geht es doch um die Fürstin Psyche, die einen geheimnisvollen Fremden heiratet. Dieser verspricht, ihr jeden Wunsch zu erfüllen. Nur eines sei ihr untersagt: Sie dürfe niemals in sein Gesicht sehen, und -« Die junge Frau brach ab, schwante ihr doch jetzt, worauf St. Leger hinaus wollte.
Anatole fuhr an ihrer Stelle fort: »Doch eines Nachts konnte sie es vor Neugier nicht mehr aushalten und schlich sich ins Gemach ihres Gemahls und leuchtete dem Schlafenden mit der Kerze ins Antlitz.«
Madeline übernahm nun wieder. »Und zu ihrem Schrecken musste sie feststellen, dass niemand anderer als Eros, der schönste unter allen griechischen Unsterblichen, sie zur Frau genommen hatte.«
»Doch weil sie sich nicht an seine eine Bedingung gehalten hat, verlor sie ihn.«
»Aber später hat sie ihn dann zurückerobert und wurde selbst zur Göttin«, schloss Madeline mit einem triumphierenden Lächeln. »Und so kam die Geschichte doch noch zu einem guten Ende.«
»Aber wie viel Leid hätte vermieden werden können, wenn Psyche das Gebot ihres Mannes befolgt und ihm vertraut hätte?«
»Aber wie könnte sie Euch vertrauen ... ich meine, wie könnte ich ihm vertrauen ... Nein, vielmehr ...« Die junge Frau schwieg verwirrt. Anders als Eros und Psyche war sie sich überhaupt nicht sicher, ob die Geschichte zwischen ihr und Anatole ebenfalls gut ausgehen würde. »Das ist doch nur eine blöde Sage«, murmelte sie. »Fitzleger hat mir die Geschichte einmal erzählt, und damals dachte ich auch so. Aber heute bin ich mir nicht mehr so sicher ...
Ich habe mich gestern schlecht aufgeführt und Euch befohlen, diesem Teil des Anwesens fern zu bleiben. Doch glaubt mir bitte, da sind einige Dinge, die ich Euch heute noch nicht erklären kann. Mir bleibt nur die Hoffnung, dass Ihr mir vertraut. Und bitte gebt Euch der Gewissheit hin, dass ich niemals etwas tun oder lassen würde, was Euch schaden könnte.«
Er legte ihr die Hände auf die Schultern. »Habt Ihr den Drachen über der Tür bemerkt? Es handelt sich dabei um den gleichen, den man auch in unserem Familienwappen findet. Ist Euch das Motto der St. Legers aufgefallen?«
»Nein.« Sie drehte sich um, entdeckte den lateinischen Spruch und übersetzte ihn Wort für Wort: »Wer über große Macht verfügt, muss sie weise gebrauchen.«
»Das ist jetzt auch Euer Leitspruch.«
»Aber ich besitze doch gar keine Macht.«
» Oh doch, Mylady. Sogar mehr, als Ihr glaubt. Die Entscheidung liegt ganz bei Euch. Ich kann Euch nicht vierundzwanzig Stunden am Tag im Auge behalten, und habe so etwas auch gar nicht vor. Deswegen gebt mir Euer Ehrenwort, dass Ihr Euch von hier fern halten werdet.« Madeline war jetzt mehr denn je davon überzeugt, dass ihr Gatte etwas hinter dieser Tür verbarg, und die Verlockung wurde riesengroß. Aber noch mächtiger war Anatoles Blick.
»Also gut. Ich hoffe nur, dass Ihr mich nicht auch noch zwingt, mit meinem eigenen Blut zu unterzeichnen.« Zum ersten Mal lächelte er. »Nein, wir besiegeln das mit Handschlag.«
Sie schob ihre Rechte in die seine. »Gut, ich verspreche es.«
»Danke.« Er beugte sich vor und küsste ihre Hand. Die Hitze seiner Lippen schien direkt in ihre Adern zu fahren. Als Anatole den Kopf wieder hob, leuchtete das alte Feuer in seinen Augen, und darüber vergaß sie alles - verwunschene Burgen, versperrte Schlösser und furchtbare Geheimnisse. Er legte einen Arm um ihre Hüften und führte sie fort.
St. Leger hatte sie seit der Hochzeitsnacht nicht mehr geküsst, und als seine Lippen jetzt über ihre Stirn, ihre Wangen und ihre Nasenspitze flatterten, konnte sie es vor Erwartung kaum aushalten.
Anatole roch nach Frühlingsregen, nach wildem Galopp übers Moor und nach dem Tosen der See. Ein durch und durch männlicher Duft. Ihre Erregung steigerte sich, und sie wünschte schon, sie hätte ihn nicht gelehrt, sie mit Sanftheit zu behandeln.
Warum konnte er sie jetzt nicht mit der Heftigkeit und Leidenschaft in den Arm nehmen wie bei ihrem ersten Kuss, bei dem ihr die Knie weich geworden waren. »Haltet Ihr mich immer noch für einen so Furcht erregenden Gesellen?«
»Nein.« Madeline spielte mit seinem
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