St. Leger 01 - Der Fluch Der Feuerfrau
ihm einen Verband anlegte. Düstere Gedanken befielen ihn, und darin spielte stets Madeline eine Rolle. Wie ernsthaft sie verkündet hatte, dass sie nicht an die ewige Liebe glauben könne. Seine letzte Hoffnung, es möge doch noch alles zwischen ihnen anders kommen, war damit zerstört worden. Und wie verletzt sie ausgesehen hatte, als er sie fortschickte.
Alle Fortschritte, die er während der vergangenen Woche bei ihr gemacht hatte, waren am Ende dieses Abends zunichte gemacht worden. Seine Braut hatte sich in ihrer schlechten Meinung über ihn bestätigt fühlen müssen. Er war nicht zivilisiert, und man durfte ihn nicht auf die Menschheit loslassen.
Marius hielt in seiner Arbeit inne und sah ihn an. »Ich glaube, Ihr solltet schleunigst vergessen, was hier vorgefallen ist, und mit Eurer Lady Frieden schließen. Geht hinauf in ihr Gemach.«
Anatole riss den Arm fort, als habe der Arzt ihn gestochen. »Ich dachte, Ihr hättet gesagt, es bereite Euch keine Freude, Euch Eurer Fähigkeiten zu bedienen.«
»Das stimmt. Aber wenn jemand so starke Gefühle hat wie Ihr im Moment, dringen sie wie Gebrüll in meine Ohren, ob ich sie nun hören will oder nicht.«
Er blickte den Burgherrn ernst an. »Anatole, ich weiß nicht, welcher falsch verstandene Stolz Euch davon abhält, zu Eurer Braut zu gehen.«
»Ihr seid nicht gerade der Mann, der einem Gatten gute Ratschläge geben sollte.«
Eine grausame Bemerkung, würdig eines Roman, und Anatole bereute sie sofort.
Marius blickte noch trauriger drein, entgegnete aber: »Im Gegenteil, ich bin bestens qualifiziert, Euch so etwas zu sagen. Begeht nicht denselben Fehler wie ich. Begebt Euch zu Eurer Braut, bevor es zu spät ist.« Der Arzt klang unendlich traurig und packte rasch seine Tasche zusammen. Anatole musste den Blick abwenden, weil er das Leid seines Verwandten nicht ertragen konnte. Mochten die St. Legers sich auch noch so sehr auf den Brautsucher verlassen, ein glückliches Ende war ihnen nicht automatisch beschieden.
Marius runzelte die Stirn, ein sicheres Anzeichen dafür, dass er noch etwas auf dem Herzen hatte. »Ich weiß, Ihr wollt meinen Rat nicht unbedingt, Cousin, aber es gibt da etwas, das ich Euch sagen muss.«
Anatole wartete mit grimmiger Miene und befürchtete schon, noch weitere Lektionen über Madeline zu hören zu bekommen.
Doch der Arzt sagte: »Es geht um Roman. Seine Gedanken sind unglaublich kompliziert. Ich konnte eindeutig seinen Wunsch empfangen, die Witwe zu heiraten, und auch mit dem Kauf von Lost Land scheint es ihm ernst zu sein. Aber was er mit all dem bezweckt und was er sonst noch vorhaben mag, bleibt mir leider ein Rätsel.«
»Dann habt Ihr also in ihm gelesen?«
»Ich habe es versucht, konnte aber nicht tief genug in ihn eindringen. Wenn man in sein Herz gelangt, glaubt man, sich in einem Labyrinth wieder zu finden. Roman ist äußerst geschickt darin, seine Gefühle und Beweggründe zu tarnen; manchmal frage ich mich, wie er selbst sich da noch zurecht findet. Er war eben immer etwas anders als der Rest von uns.«
»Ja«, stimmte Anatole zu. »Wenn meine Tante nicht eine so tugendhafte Frau gewesen wäre, würde ich fast glauben, Roman sei nicht nur vom Charakter, sondern auch von Geburt ein Bastard.«
»Aber das ist ausgeschlossen. St.-Leger-Frauen sind ihren Männern niemals untreu.«
Wirklich niemals? fragte sich der Burgherr.
»Wir alle wissen, dass hin und wieder ein St. Leger ohne eine unserer besonderen Fähigkeiten geboren wird. Bei Roman ist das offensichtlich der Fall, nicht mehr und nicht weniger.«
»Der Narr sollte froh sein, davon verschont geblieben zu sein.«
»Doch das war er nie«, schüttelte der Arzt den Kopf. »Er war immer bitter eifersüchtig auf Euch.«
»Auf mich?«
»Ja, auf Eure Macht, Eure Position als Familienoberhaupt, Euren Besitz ... vor allem im Hinblick darauf, wie wenig er geerbt hat.«
»Worauf wollt Ihr hinaus, Marius? Soll ich für den Elenden auch noch Mitleid empfinden?«
»Nein. Ich will damit nur sagen, dass nichts die Seele eines Menschen schneller und gründlicher zerfressen kann als der Neid. Damit wird er zu einer großen Gefahr für seine Umgebung. Und ich fürchte, mit Roman steht es schon so schlimm, dass alle Heilung zu spät kommt. Seid auf der Hut vor ihm, Anatole.«
14
Sie bekam kein Auge zu. Noch lange, nachdem Madeline sich in ihr Zimmer begeben hatte, saß sie in ihrem Nachthemd vor dem Spiegel, bürstete sich lustlos das Haar und lauschte angestrengt auf
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