St. Leger 01 - Der Fluch Der Feuerfrau
Schritte oder eine sich öffnende Tür. Gleich, auf welches Geräusch, wenn es ihr nur anzeigte, dass Anatole nach oben gekommen war. Doch sie vernahm wenig anderes als das Unwetter draußen. Man könnte glauben, das Land selbst erhebe sich gegen die unselige Frau, die es gewagt hatte, die Sagen und Traditionen dieses Landes als nichtig abzutun. Nach einer Weile erhob sie sich, stellte sich ans Fenster und zog die Vorhänge zurück. Wenn sie durch ihre unglücklichen Worte einen Fluch auf sich geladen hatte, sollte jetzt ein Blitz einschlagen und sie treffen. Denn das konnte kaum schlimmer sein als das, was Madeline vorhin unten durchgemacht hatte - von der Familie offen abgelehnt und von Anatole wie ein unartiges Mädchen aufs Zimmer geschickt zu werden.
Sie forderte ihr Schicksal heraus, doch nicht einmal Blitz und Donner, die auf der Erde und am Firmament tobten, schienen etwas von ihr wissen zu wollen. Gab es eigentlich irgendwann mal kein Unwetter über diesem Teil von Cornwall? Madeline beneidete die St. Legers wahrhaftig nicht, die durch diese Nacht nach Hause reisen mussten. Die meisten von ihnen dürften längst aufgebrochen sein, es sei denn, die Onkel saßen jetzt mit Anatole zusammen, um gemeinsam über seine unglückliche Ehe zu beraten.
Sie bedauerte es zutiefst, dass die St. Legers, die sie anfangs so freundlich und warmherzig aufgenommen hatten, inzwischen ganz anders über sie dachten. Am schlimmsten von allem war jedoch Anatoles Blick gewesen, als er sie verstoßen hatte.
Und das nur, weil sie so töricht gewesen war, Roman Recht zu geben. Aber was hätte sie denn sonst antworten sollen?
Wie hatte Zane es noch ausgedrückt? Zwei Herzen fänden in einem Moment zueinander und seien dann für alle Ewigkeit vereint. Ein wunderbarer, romantischer Spruch, aber Anatole musste doch genauso klar sein wie ihr, dass ihre Ehe alles andere als glücklich und leidenschaftlich war und das wohl auch nie werden würde.
Madeline wusste nicht, was die St. Legers von ihr hatten hören wollen, aber sie ahnte, dass sie Anatole sehr enttäuscht hatte. Und das nicht zum ersten Mal. Seit sie sich vermählt hatten, hatte sie dem Mann nur Ungemach bereitet und so gar nichts von dem an den Tag gelegt, was von einer St.-Leger-Braut erwartet wurde.
Sie lehnte die Stirn ans Fensterglas, als die Verzweiflung in ihr kaum noch zu überwinden schien. Aber die junge Frau zwang sich tapfer, nicht zu weinen. Die Welt war bereits nass genug, auch ohne dass sie auch noch dazu beitrug.
Wenn sie schon die Leere ihres Bettes nicht ertragen konnte, würde sie doch wohl etwas Vernünftigeres mit sich anfangen können, als die Fensterscheibe vollzuheulen und darüber Kopfschmerzen zu bekommen.
Also fing Madeline an, die Kleider zusammenzuräumen, die sie beim Entkleiden durch das ganze Zimmer geschleudert hatte.
Sie hatte sich gar nicht erst die Mühe gemacht, nach Bess zu schicken, die als ihre Zofe ausgebildet wurde. Das Mädchen stellte sich zwar nicht ungeschickt an, hatte aber eine so negative Ausstrahlung, dass es Madeline manchmal einfach zu viel mit ihr wurde.
Als sie versuchte, das grüne Abendkleid in den vollen Schrank zurückzuhängen, stieß sie in ihrer Nervosität mehrere Bänderschachteln um und prallte auch noch gegen etwas Hartes und Großes, das ihr prompt entgegenkippte. Hastig sprang sie zurück, ehe der Gegenstand ihr auf die Zehen fallen konnte.
Das St-Leger-Schwert mitsamt Scheide und Kristall am Knauf.
Nachdem Anatole ihr die Klinge überreicht hatte, hatte sie nicht so recht gewusst, was sie mit dem verwünschten Ding anfangen sollte. Zwischen die Sonnenschirme stellen; oder unter die Unterröcke legen? Irgendwie war das Schwert ihr ständig im Weg.
Madeline bückte sich, hob es vorsichtig auf und zog die Klinge heraus. Das Kerzenlicht spiegelte sich auf dem blanken Stahl, dem goldenen Griff und dem funkelnden Kristall wider.
Sie erinnerte sich wehmütig, wie verlegen Anatole gewirkt hatte, als er sich am Hochzeitstag vor sie gekniet und ihr das Schwert übergeben hatte.
Vielleicht war es ihm einfach nicht möglich gewesen, ihr zusammen mit der Klinge auch sein Herz und seine Seele zu schenken; aber sie erkannte, dass er ihr mit dem Schwert noch etwas anderes vermacht hatte - seinen Stolz.
Und über den war sie heute Abend hinweggetrampelt. Aber sie hatte nie um eine solche Gabe gebeten. Madeline hatte sich doch nie mehr gewünscht als ein einfaches Leben auf dem Lande, einen gelehrten Ehemann, eine
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