ST - New Frontier 5: Ort der Stille
Wenn Sie sich ganz sicher sind.«
Im Tonfall des Gebieters war etwas, das ihn misstrauisch machte. »Warum? Welchen Grund könnte es geben, es nicht zu benutzen?«
Ein Erlöser hob vorsichtig Riellas Kopf. Sie starrte mit leeren Augen in Xyons Richtung.
»Nun«, sagte der Gebieter, »ob Sie es glauben oder nicht, wenn ich anderen Schmerz zufüge, wie ich es mit Ihnen getan habe, kostet es mich keine große Anstrengung. Doch wenn ich einen fremden Geist so beeinflussen will, dass er die Wahrheit sagt, kann das gewisse Folgen für den Betreffenden haben.«
»Was für Folgen?«, fragte Xyon vorsichtig.
»Fatale. Zumindest in den meisten Fällen.«
»Sie meinen, es würde sie töten?«
»Richtig.«
Xyon blickte hilflos auf Riella und hatte keine Ahnung, was er tun sollte. Sie sah ihn aus Augen an, die ihn kaum wahrnahmen. Ihr Mund bewegte sich fast unmerklich, doch er konnte genau erkennen, welche Worte ihre Lippen formten:
Töte mich
.
Xyon empfand eine schreckliche Verzweiflung. Es war, als hätte man ihm plötzlich die Verantwortung für das Leben dieses Mädchens aufgezwungen. Wer war er, eine solche Entscheidung zu treffen? Er kannte sie kaum, und was er bislang von ihr kennengelernt hatte, riss ihn nicht gerade zu Begeisterungsstürmen hin.
Er hatte jedes Zeitgefühl verloren. Er konnte nicht mehr sagen, wie lange das Mädchen schon dieser Tortur ausgesetzt war, aber ihre Reaktionen ließen keinen Zweifel, dass sie alles andere als eine zähe Kriegerin war, die über Schmerzen lachte und ihre Feinde selbst im Angesicht des Todes verspottete. Sie wollte nur, dass die Qualen aufhörten, und wenn das bedeutete, dass sie nie wieder etwas fühlen würde, dann schien ihr dieser Preis nicht zu hoch zu sein.
So weit war es also gekommen: Die hilflose Riella flehte ihn an, sie einer Behandlung auszusetzen, die sie mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht überleben würde.
In seinem Kopf wirbelten verschiedenste Emotionen durcheinander, was er nur sehr selten erlebte. So hatte er noch nie empfunden, wenn sein eigenes Leben auf dem Spiel gestanden hatte – einfach weil er fest davon überzeugt war, dass sein Leben gar nicht auf dem Spiel stehen konnte, zumindest nicht vor der vom Schicksal vorherbestimmten Zeit. Doch wenn er sah, wie andere litten – in diesem Fall Riella –, konnte er sich solchen Gefühlen einfach nicht entziehen.
Dann wurde ihm etwas klar, und plötzlich rief er: »Fragen Sie mich!«
Der Gebieter hatte bereits die Hand nach dem Schalter ausgestreckt, um einen weiteren Stromstoß durch Riellas Körper zu jagen, doch nun erstarrte er mitten in der Bewegung. Er drehte sich um und sah Xyon nachdenklich an. Dieser musste sich alle Mühe geben, seine chaotischen Empfindungen im Zaum zu halten. »Sie …?«, fragte er ungläubig.
»Ja, mich! Ich war ihr Pilot! Ich weiß, was sie weiß! Probieren Sie das Wort an mir aus!«
»Obwohl Sie wissen, dass es Sie mit hoher Wahrscheinlichkeit …?«
»Ja, ja! Aber ich bin dazu bereit, wenn Sie aufhören, ihr wehzutun!« Sein langes Haar fiel ihm ins Gesicht. Er schob es zurück und starrte den Höchsten Gebieter mit solch wilder Entschlossenheit an, dass dieser unwillkürlich einen Schritt zurückwich. »Na los, machen Sie schon! Fragen Sie mich, was Sie wissen wollen! Natürlich nur, wenn Sie überzeugt sind, dass Sie es können! Falls Sie nicht nur leere Phrasen gedroschen haben. Wenn Sie wirklich dazu in der Lage sind, dann …«
Der Gebieter sprach das Wort. Es war jedoch nicht nur ein Wort, sondern eindeutig mehrere Worte.
Xyon hatte das Gefühl, ihm würde das Gehirn, der ganze Kopf zerfetzt. Er hätte schwören können, dass sich die Haut von seiner Schädeldecke löste, dass die Knochenschale aufplatzte und sich der Inhalt über den Boden ergoss.
Er hörte, wie er sprach, wie ein Sturzbach aus Worten aus ihm hervorbrach. Es waren nicht nur Informationen über den Ort der Stille, die er ausplauderte, sondern auch viele andere Dinge, die zum Teil ohne jede Bedeutung waren. Innerhalb weniger Sekunden hatte er dem Gebieter seine Lieblingsfarbe, die Namen seiner Eltern und sein letztes Geburtstagsgeschenk verraten, dazu die Dinge, die Lyla ihm des Nachts zuflüsterte, die ihm halfen, die Dunkelheit zu ertragen, und die nackte, elementare Angst in seiner Seele, dass er sich irren könnte und doch nicht zu einem vorbestimmten Zeitpunkt sterben würde, dass es nur eine Reflexhandlung war, die ihn davor bewahrte, sich in jeder gefährlichen Situation
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