ST - TOS 101: Feuertaufe: McCoy - Die Herkunft der Schatten
zu werden.
»Ich sagte, setzen Sie sich.« Lyles klopfte mit der flachen Hand auf den Untersuchungstisch und brachte dadurch das Papier zum Knistern. »Sie müssen sich auf den Bauch legen, damit ich die Fäden ziehen kann.«
»Oh«, sagte McCoy. Er hatte die Wunde an seiner Wade am Morgen überprüft und festgestellt, dass sie gut verheilt war. Seitdem hatte er gar nicht mehr an die Verletzung gedacht. Erst als Lynn ihn danach gefragt hatte, war sie ihm wieder in den Sinn gekommen. Er war nicht zu Dr. Lyles gegangen, um sich die Fäden ziehen zu lassen. Das konnte er sicher auch selbst erledigen.
»‚Oh‘?«, wiederholte Lyles. »Sind Sie aus einem anderen Grund hergekommen, Mister McCoy?«
»Äh, ja, eigentlich schon«, erwiderte McCoy. Als er nun jedoch darüber nachdachte, ergab es durchaus Sinn, dass Lyles die Fäden zog. Obwohl McCoy sich erinnerte, dass die Prozedur nicht besonders aufwendig war, besaß der Arzt sicher die entsprechenden Werkzeuge und Materialien, um sie ordentlich auszuführen. »Aber Sie können sie trotzdem entfernen«, sagte er.
»Ach wirklich?«, fragte Lyles sarkastisch. »Na, vielen Dank auch. Ich verbringe meine Sonntage immer gern damit, unangekündigte Patienten zu behandeln.«
»Es tut mir leid, Doktor«, sagte McCoy und bemühte sich, nicht allzu verärgert zu klingen. »Ich wollte Sie nicht belästigen. Wenn es Ihnen lieber ist, kann ich einen Termin ausmachen und ein andermal wiederkommen.«
Lyles sah ihn sehr lange an, und McCoy hatte Schwierigkeiten, das Schweigen zu deuten. Als der Arzt schließlich sprach, schien er seine Ungeduld zwar nicht zu bereuen, klang aber auch nicht mehr verärgert. »Setzen Sie sich«, sagte er. »Bringen wir es hinter uns.«
McCoy knöpfte seine Hose auf, zog sie aus und hängte sie über einen Stuhl. Dann legte er sich bäuchlings auf den Untersuchungstisch und stützte den Kopf auf seine Hände. Er spürte die Berührung des Arztes, als dieser die Wunde untersuchte. »Haben Sie Schmerzen im Bein?«, fragte Lyles.
»Nein«, sagte McCoy. Die Verletzung störte ihn schon seit Tagen nicht mehr.
»Sonst irgendwelche Beschwerden?«
»Keine«, erwiderte McCoy und verkniff sich die Bemerkung, dass ihm lediglich die Tatsache Beschwerden bereitete, dass man Menschen zusammennähte.
»Wie es aussieht, ist alles gut verheilt. Die Fäden können gezogen werden«, erklärte der Arzt. Er entfernte sich vom Tisch, und McCoy drehte den Kopf, um zu sehen, wie sich der ältere Mann in einem Becken in der Ecke die Hände wusch. Danach nahm er eine Pinzette und eine chirurgische Schere sowie mehrere Handtücher aus einem Schrank. Schließlich trat er vor ein Regal und holte eine Glasflasche heraus, die zu drei Vierteln mit einer klaren Flüssigkeit gefüllt war.
McCoy nahm den scharfen Geruch des Antiseptikums wahr, als der Arzt sein Bein desinfizierte. Keiner der beiden Männer sagte etwas, während Lyles einen Faden nach dem anderen mit der Pinzette ergriff, ihn mit der Schere zerschnitt und schließlich wieder die Pinzette benutzte, um ihn zu entfernen. McCoy spürte jedes Mal ein leichtes Ziepen, wenn der Faden aus seinem Fleisch gezogen wurde. Die gesamte Prozedur dauerte noch nicht einmal fünf Minuten.
Als McCoy vom Untersuchungstisch gestiegen war und seine Hose wieder angezogen hatte, fragte Lyles: »Also, warum sind Sie heute zu mir gekommen, wenn es Ihnen nicht darum ging, die Fäden loszuwerden?«
»Deswegen«, sagte McCoy und griff in seine Hosentasche. Er zog die Münzen heraus, die Lynn und Phil ihm gegeben hatten, und legte sie auf den Untersuchungstisch. Als er sah, dass er nur drei der Halbdollarmünzen erwischt hatte, griff er noch einmal in die Tasche und zog auch die vierte heraus. »Es ist nicht der gesamte Betrag, den ich Ihnen schulde, aber es ist ein Großteil davon.«
Lyles wirkte überrascht, und seine buschigen grauen Augenbrauen hoben sich über den Rand seiner Brille. Er verteilte die Münzen so, dass sie nicht mehr übereinanderlagen. Als er McCoy schließlich ansah, schien seine Überraschung Misstrauen gewichen zu sein. »Wo haben Sie das Geld her?«, wollte er wissen.
»Gern geschehen, Doktor«, sagte McCoy, der von Lyles’ zynischem und respektlosem Verhalten langsam die Nase voll hatte. Er schickte sich an zu gehen.
»Haben Sie es den Dickinsons gestohlen?«, fragte der Arzt. McCoy blieb stehen, die Hand am Türknauf, und drehte sich zu Lyles um.
»Ist das etwa die Gastfreundschaft, für die der Süden bekannt
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