Stacee's Soldat (German Edition)
würde, auf dessen Umschlag Andys Handschrift zu sehen war.
Aber ich wartete vergebens.
Jeden Tag, an dem es eigentlich wahrscheinlicher werden sollte, dass er eine Antwort schickte, egal wie sie ausfiel, wurde die Enttäuschung größer.
Hatte Andy sich wirklich so sehr verändert? Früher, als wir noch jünger waren, hatte er mir immer sofort verziehen, wenn ich mich bei ihm entschuldigte. Einmal war er wirklich sauer geworden, aber er hatte trotzdem mit mir gesprochen.
Damals, wir waren beide sechs, fast sieben, Jahre alt, war er zu meinen Freundinnen und mir gekommen, in einer Pause, um zu fragen, ob wir nachher wieder zusammen nach Hause gehen würden. Obwohl er nicht in der Nachbarschaft wohnte – immerhin lebte er im Ort und ich auf einer Farm außerhalb – ging er jeden Tag mit mir zusammen von der Schule nach Hause.
Aber ich wollte das nicht vor meinen Freundinnen besprechen, denn die waren allesamt der Meinung, Jungs wären blöd. (Ich weiß wie kindisch das ist. Mittlerweile.) Also versuchte ich ihm klarzumachen, dass die Antwort auf diese liebgemeinte Frage „Nein“ wäre.
Natürlich war er enttäuscht und verletzt. Er verstand nicht, warum ich an diesem Tag ohne ersichtlichen Grund nicht mit ihm nach Hause gehen wollte.
Als wir nach der Schule den üblichen Weg einschlugen, wollte er eigentlich nicht mit mir reden. Das einzige, was er in dieser Viertelstunde wirklich sagte, war folgendes: „Sind wir noch Freunde?“
Diese simple Frage tat mir weh, denn ich wusste nicht genau, weshalb er fragte.
Erst nachdem meine Mom mir erklärte, was vielleicht dahinter steckte, nämlich das Andy gedacht haben könnte, ich wolle unsere Freundschaft beenden, weil ich nicht mehr mit ihm zusammen nach Hause gehen wollte, wusste ich wirklich, was ich falsch gemacht hatte. Und ich schämte mich ziemlich.
Trotz allem konnte ich Mom dazu überreden, mich zu ihm zu fahren, damit ich mich entschuldigen konnte, was ich dann auch tat. Er strahlte mich an und ich wusste, dass er mir verziehen hatte. Anschließend spielten wir eines von unseren „geheimen“ Spielen und die Welt war wieder in Ordnung.
Manchmal wünschte ich mir diese Einfachheit und Klarheit zurück, während ich hoffte, dass er mir verzeihen würde.
Leah nahm meine Schweigsamkeit gelassen hin.
Selbst ihr Bruder, den wir manchmal zusammen besuchten, weil sie immer noch Angst davor hatte, allein zu ihm zu gehen, versuchte nicht, weiter zu bohren. Wusste er mehr als ich?
Die Frage stellte sich mir in dieser Zeit merkwürdigerweise nicht. Oder zumindest kann ich mich nicht daran erinnern.
Brandon akzeptierte, dass wir nur Freunde sein würden. Sämtliche seiner Anhängerinnen waren hin- und hergerissen, als das herauskam. Einerseits waren sie natürlich auf seiner Seite und wollten ihn unterstützen, weshalb ich öfters ein Post-it auf meinem Rücken fand, mit einem eher unfreundlichen Spitznamen darauf, aber andererseits waren sie unheimlich froh, dass sie eventuell noch eine Chance bei ihm hatten.
Annie war merkwürdigerweise sogar auf meiner Seite, trotz ihrer Schwärmerei für Brandon. Gavin, mit dem sie mittlerweile zusammengekommen war, half da vermutlich ein wenig nach.
„ Du hast die richtige Entscheidung getroffen, Stace. Er wird es überleben. Und dein Andy auch. Also, warum guckst du so aus der Wäsche? Das Leben ist schön!“, sagte sie zu mir bei einer unserer Sonntagsrunden.
„ Ja, das weiß ich, An. Aber ich wollte niemanden verletzen. Weder Brandon noch Andy. Und bitte – er ist nicht 'mein' Andy.“, antwortete ich ihr.
Okay, ich war nicht mehr wütend, wenn jemand sagte, er wäre „mein“ Andy/Soldat/Brieffreund/ Marine. Die Empörung darüber war schon lange verflogen.
Stattdessen fühlte ich eine immense Traurigkeit, denn er war nicht mein – obwohl ich mittlerweile nichts mehr dagegen einzuwenden gehabt hätte.
Er war mein bester Freund, derjenige, dem ich bedingungslos überallhin folgen würde. Doch er war weit entfernt, in einem fremden Land, um in einem grausamen Krieg zu kämpfen.
Mit anderen Worten: Andy war wie der Adler für mich: unerreichbar.
Und auch wenn alle so taten, als würden sie verstehen, so hatten sie keine Ahnung. Am wenigsten ich selbst. In diesen Wochen veränderte sich etwas in mir, meinem Inneren, doch ich konnte es nicht genau beschreiben.
Die meisten Klausuren, die nach Thanksgiving geschrieben wurden, waren einfach, so dass meine Gedanken anschließend nicht besonders beschäftigt
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