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Stachel der Erinnerung

Stachel der Erinnerung

Titel: Stachel der Erinnerung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: F Henz
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schrammte mit einem hässlichen Geräusch über den Boden, als er unvermittelt aufstand und den Raum verließ. Nur mehr Daria saß jetzt mit ihr am Tisch.
    Sie musterte Tessa aufmerksam. „Was ist passiert?“, fragte sie schließlich.
    „Ich war wieder dort … in der Vergangenheit, an dem Ort, wo ich schon beim ersten Mal war“, sagte Tessa langsam. „Alles hat sich wiederholt … aber …“
    „Aber?“
    „Diesmal war ich nicht alleine. Nick war bei mir.“ Ihre Stimme begann zu zittern. „Doch es hat nichts genützt. Ich konnte nicht verhindern, dass Meldis auch dieses Mal wieder getötet wurde.“
    „Nick? Nick Dayton?“, wiederholte Daria ungläubig.
    Tessa nickte. „Er hat versucht, Meldis vor Kaldak zu beschützen, aber er ist gescheitert. Alles endete genauso wie beim ersten Mal. Ich bin völlig umsonst zurückgegangen. Mein Leben …“ Sie brach ab. Sie wollte nicht auch noch Daria von der Sinnlosigkeit ihres Lebens in Kenntnis setzen. Sie musste aufhören zu jammern und zusehen, dass sie mit ihrem Scheitern fertig wurde. Wäre ja nicht das erste Mal.
    Daria schwieg eine Weile, dann sagte sie leise: „Nicht immer ist auf den ersten Blick ersichtlich, was das Schicksal mit uns vorhat. Nichts passiert ohne Sinn, Tessa, glaub mir. Am Ende des Tages geht jede Gleichung auf, auch wenn das Ergebnis nicht immer unseren Erwartungen entspricht.“
    Tessa nickte wieder, aber ihr fehlte sowohl der Glaube an diese salbungsvollen Weisheiten als auch die Geduld, sie sich weiter anzuhören. Also stand sie auf. „Ich werde mich zurückziehen, das alles war doch sehr anstrengend.“
    Berit hatte ihre letzten Worte gehört und drehte sich zu ihr um. „Geht es dir gut? Du siehst plötzlich ganz blass und erschöpft aus“, erkundigte sie sich besorgt.
    Kein Wunder, sie fühlte sie auch blass und erschöpft. Tessa lächelte matt. „Ich werde mich wieder hinlegen, mach dir keine Sorgen, vielleicht habe ich mich doch überanstrengt.“
    „Ich komme mit dir“, sagte Berit prompt und griff nach ihrem Arm.
    „Nein.“ Das Wort fiel schärfer aus als Tessa beabsichtigt hatte, und sie versuchte es mit einem Lächeln zu relativieren. „Ich möchte alleine sein, mach dir keine Sorgen, eine Stunde nur, oder zwei, das wird schon genügen.“
    Berit durchbohrte sie mit ihren Blicken, aber Tessa schaffte es, nicht einmal mit der Wimper zu zucken. „Gut, aber schließ dich um Himmels willen nicht in deinem Zimmer ein, okay?“
    „Okay.“ Tessa verließ den Raum. Sie blickte sich unauffällig um, aber derjenige, den sie gerne entdeckte hätte, war nicht zu sehen.
     
    „Lange nicht gesehen, Brüderchen.“
    Kaldak ging auf seine Schwester zu, die sich auf einem breiten Bett mit glänzenden schwarzen Laken rekelte. Graue Seide bedeckte ihren Körper, doch ihr Gesicht war nackt und wie immer unterdrückte er ein Schaudern, als er die Knochen unter dem dunklen, verwesenden Fleisch bemerkte, in dem sich kleine weiße Maden wanden. Er wollte sich gar nicht vorstellen, wie ihr Leib unter der Seide aussah. Mit einiger Mühe konzentrierte er sich auf die intakte Seite ihres Gesichts, stemmte die Arme in die Hüften und blickte auf sie hinunter. „Immerhin kannst du dich noch an mich erinnern, so lange kann es also nicht her sein.“
    „Ich habe gehört, dass man dich ins ewige Eis verbannt hat. Nicht sehr anheimelnd.“ Sie warf ihr Haar zurück. Durch die Fleischfetzen ihrer Wange schimmerten die beiden Zahnreihen.
    „Das war es auch nicht. Aber jetzt bin ich wieder da. Und entschlossen, mir endlich Gerechtigkeit zu holen. Die Alternative zu deinem ursprünglichen Pakt ist noch immer aufrecht?“
    Sie erwiderte seinen Blick und nickte langsam. „Ja, bring mir die vierte Tochter einer vierten Tochter und ich gebe dir Balder.“
    „Gut. Ich bin gleich zurück. Lass Balder inzwischen holen.“ Er wartete ihre Antwort nicht ab, sondern verließ das Zimmer.
    Sie blickte ihm stirnrunzelnd nach und zuckte zusammen, als sie eine Berührung auf ihrer Schulter spürte. Kühle Lippen, die gemächlich zu ihrem Hals wanderten.
    „Du wirst mich doch nicht wirklich wieder zurückschicken, meine wunderschöne Geliebte?“, flüsterte Balder an ihrem Ohr.
    Sie schloss die Augen. Dank des Bannes, den sie über ihn gelegt hatte, würde er sie immer für jung und schön halten. Es hatte doch einige Vorteile eine Göttin zu sein.
    „Das heißt, du ziehst das Reich der Toten einem Platz an der Seite von Odin vor?“ Sie rollte sich herum,

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