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Stachel der Erinnerung

Stachel der Erinnerung

Titel: Stachel der Erinnerung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: F Henz
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vielleicht kommt er aus einem fernen Land, wo die Menschen anders aussehen.“
    „Aber er spricht wie du und ich.“ Sie schwieg eine Weile. „Sein Haar fühlt sich ganz weich an, wie die aller feinsten Daunen, obwohl es so schwarz ist. Und seine Haut … seine Haut … du hast sie doch gesehen … sie ist wie … wie …“
    „Eichenholz“, ergänzte Tessa trocken und hoffte, dass sie sich die Faszination in Meldis’ Worten nur einbildete. Das hätte ihr noch gefehlt, dass sich das Mädchen in einen Waldschrat am Rande des Nirgendwo verknallte. Als wäre nicht schon alles kompliziert genug.
    „Genau“, sagte Meldis. „Eichenholz. Es lag mir auf der Zunge.“
    Der Inhaber der eichenholzfarbenen Haut betrat die Hütte. Seine Gestalt füllte den Raum auf eine Art und Weise aus, dass auch Tessa Schwierigkeiten bekam, zu atmen.
    Er ging zum Kessel und wollte sich von der Suppe nehmen, aber natürlich war keine Schüssel in Reichweite. Suchend blickte er sich um und Meldis rief hastig. „Hier, nimm diese!“ Sie lächelte ihn an und hielt ihm die leere Schüssel entgegen.
    Er tat es kommentarlos und setzte sich dann am anderen Ende des Raumes auf den Boden, um die Suppe in sich hineinzuschaufeln. Begleitet wurde diese Tätigkeit von lautem Schlürfen, abgeschlossen mit einem tiefen Rülpsen. Dann stellte er die Schüssel beiseite und stand auf. Trotz seiner Größe und Masse bewegte er sich in dem engen Raum so geschmeidig wie eine Raubkatze.
    „Danke, dass du Alva zurückgebracht hast.“ Meldis Stimme war reiner Honig und ihr Lächeln ein einziges Versprechen. Sie legte kokett den Kopf schief, damit ihre Locken sich dekorativ an ihren Hals schmiegten.
    Tessa verdrehte die Augen. Also doch. So viel dazu, dass Meldis große, starke Männer furchteinflößend fand. Dieser Kaldak war bestimmt einen knappen Kopf größer als Serre und seine Oberarme um einiges dicker. Kein Wunder, wenn er täglich am Amboss arbeitete.
    Der Mann sah Meldis unter zusammengezogenen Brauen an. Er nickte ihr zu und verließ die Hütte.
    „Ach“, seufzte Meldis entrückt. „Er hat mir zugenickt. Hast du gesehen?“
    „Ja.“ Tessa versuchte, ihre Verstimmung nicht zu zeigen. Im gegenwärtigen Zustand wäre jedes kritische Wort wie Öl ins Feuer für Meldis aufkeimende Zuneigung zu dem eigenbrötlerischen Schmied gewesen. „Er scheint dich zu mögen“, sagte sie stattdessen.
    „Wirklich? Findest du?“ Meldis lebte sichtlich auf. „Dabei sehe ich ganz furchtbar aus. Wenn ich nur einen Kamm und frische Kleider hätte. Dann könnte er sehen, wie hübsch ich wirklich bin. “
    Ihre Reaktion löste in Tessa eine unwillkommene Erinnerung aus. An eine siebzehnjährige Tessa, die sich vor dem Spiegel mit Lippenstift und Wimperntusche abmühte, um so auszusehen wie die Mädchen in ihrer Klasse. Um irgendeinem der herumpöbelnden Jungen zu gefallen. Sie hatte keinen Erfolg damit gehabt, weder als Siebzehnjährige, noch zehn Jahre später. Immer war sie auf eine Art unzulänglich gewesen, hatte den Vorstellungen und Erwartungen der Männer letztendlich nicht entsprechen können, so sehr sie sich auch bemühte. Sie scheiterte damit, wieder und wieder, egal, wie oft sie es versuchte.
    „Aber jetzt, wo du da bist, kannst du mir mit den Zöpfen helfen und vielleicht kannst du auch mein Kleid waschen“, riss sie Meldis aus ihren Gedanken.
    „Natürlich helfe ich dir.“ Sie zwang ein Lächeln auf ihr Gesicht. Sollte Meldis doch ein bisschen ihre Krallen an dem wortkargen Schmied schärfen – sobald ihr Bein wieder heil war, würden sie sich auf den Weg machen und er blieb nichts als eine Erinnerung.
     
    Es dauerte nicht lange und Tessa sah ihren Irrtum ein. Meldis litt dramatisch schön und alles andere als schweigend. Sie ließ sich zwar von Tessa die Haare machen, aber nur Kaldak durfte ihren Verband wechseln. Außerdem durfte Kaldak sie nach draußen tragen, wo sie auf der an der Außenwand angebrachten Bank saß und Tessa zusah, wenn sie Rebhühner rupfte oder Fische putzte. Für deren Heranschaffung war natürlich auch Kaldak zuständig.
    Meldis betätigte sich nicht nur als Publikum, sondern gab auch weise Ratschläge: „Meinst du nicht, dass man den Fisch zuerst ausnehmen sollte und dann schuppen?“ „Können wir die Federn nicht für später aufheben?“ „Kaldak zeigt dir bestimmt, wie man den Balg zum Trocknen aufspannt.“ „Wenn das Messer nicht scharf genug ist, dann gib es Kaldak, er schärft es wieder.“
    Tessa

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