Stachel der Erinnerung
einer Zeitreise sicher in den Körper einer Herrscherin geschlüpft. Und was tat sie? In der Haut einer unwichtigen Sklavin stecken, die von allen nur herumkommandiert wurde und keine eigenen Rechte besaß. Kein eigenes Leben hatte und niemanden, der sie liebte.
Es sah ganz danach aus, als wäre sie in allen Existenzen und allen Zeiten dazu verdammt, der ewige Loser zu sein. So viel zu ausgleichender Gerechtigkeit, zu Yin und Yang, zu gutem Karma und schlechten Nerven.
Sie spürte, dass ihre Augen in Tränen schwammen, und wandte sich ab. Mit wenigen Schritten war sie beim Haus, warf die Tür hinter sich zu und lehnte sich dagegen. Wenn sie noch irgendeinen Zweifel an der Notwendigkeit ihres Fluchtplanes gehabt hatte, dann waren sie jetzt beseitigt worden. Sie würde nicht hier bleiben und den beiden zusehen, wie sie ihr Happy End lebten. Noch in der nächsten Nacht würde sie das Pferd nehmen, das Kaldak gerade Meldis geschenkt hatte und sich davon machen. Sie hatte vom Reiten zwar nicht den blassesten Schimmer, aber das spielte keine Rolle. Irgendwie würde sie oben bleiben und den Gaul in die richtige Richtung treiben. Und die richtige Richtung war jene, die sie am schnellsten von hier fortbrachte.
Mit klopfendem Herzen wartete sie später, bis Meldis und Kaldak eingeschlafen waren. Als sie zu der Überzeugung kam, dass ihre Chancen, das Haus unbemerkt zu verlassen, gut standen, erhob sie sich leise und schlich zur Tür. Nichts regte sich, als sie den Riegel zur Seite schob und durch den Spalt ins Freie huschte. Die Nacht war klar und der Mond beinahe voll. Den Weg zum Stall fand sie ohne Schwierigkeiten. Größere Schwierigkeiten bereitete da schon das richtige Festzurren des Sattels und das Umlegen der Zügel. Als sie es so gut sie konnte erledigt hatte, führte sie die Stute nach draußen. Noch immer war alles ruhig. Nur der eigene Herzschlag dröhnte ihr in den Ohren.
Im Stall hatte sie kurz überlegt, ob sie Kaldaks Hengst losbinden und in den Wald jagen sollte. Aber die enorme Größe und das wütende Schnauben des Pferdes, sobald sie sich ihm näherte, hatte sie diese Idee verwerfen lassen. Insgeheim hoffte sie, dass Alva Kaldak nicht wichtig genug war, um ihre Verfolgung aufzunehmen. Allerdings stellte die Stute nicht nur einen Wertgegenstand dar, sondern sie war auch eine Morgengabe an die Frau, die er liebte.
Egal, sie durfte sich jetzt nicht mit solchen Kleinigkeiten aufhalten, sie musste zusehen, eine möglichst große Distanz zwischen sich und Kaldaks Hütte zu bringen. Mit etwas Glück konnte sie das Pferd verkaufen und mit einem Fuhrwerk weiterfahren. Ihr Instinkt würde ihr schon sagen, wenn sich die Maske in ihrer Griffweite befand.
Nachdem sie die ersten Bäume passiert hatten, schwang sich Tessa in den Sattel. Die Stute ließ alles ruhig mit sich geschehen und setzte sich sogar in Bewegung, als Tessa ihr die Fersen in den Leib drückte.
Im gemächlichen Schritt zuckelte sie den Pfad entlang. Nachdem Tessa sich halbwegs an das Schaukeln gewöhnt hatte, musste sie einsehen, dass sie in diesem Tempo nicht sehr weit kommen würde, bis ihr Verschwinden Meldis oder Kaldak auffiel.
Mit dem Druck ihrer Schenkel versuchte sie, das Pferd zu einer schnelleren Gangart anzutreiben, was schließlich auch gelang. Allerdings bedeutete das auch eine größere Anstrengung, sich im Sattel zu halten. Deshalb achtete sie nicht auf den Weg, sondern nur darauf, nicht vom Pferd zu fallen und keinen der herabhängenden Äste ins Gesicht zu bekommen. Das Ganze war wesentlich anstrengender, als sie gedacht hatte. Ihr Rücken schmerzte, ihr Hintern schmerzte und die Muskeln in ihren Oberarmen wurden langsam taub, ebenso die Finger, um die sie die Zügel gewickelt hatte. Dabei war es vermutlich erst kurz nach Mitternacht. Seufzend riss sie sich zusammen. Sie gehörte nicht zu denen, die leicht aufgaben. Wenn sie jemals wieder nach Hause wollte, dann musste sie von Kaldak und Meldis weg, musste die Maske finden und hoffen, dass der Zauber auch in die andere Richtung funktionierte.
Durch die Bäume schimmerte das Licht der aufgehenden Sonne, als Tessa kapitulierte. Sie stieg vom Pferd und band die Zügel an einen Baum. Ihr Entschluss stand fest: Sie würde zu Fuß weitergehen. Wenn Kaldak sie verfolgte, gab er sich vielleicht mit der Stute zufrieden. Mit zitternden Fingern löste sie den Beutel mit dem Trockenfleisch und befestigte ihn an ihrem Gürtel. Trinkflaschen hatte sie keine mitgenommen, da sie davon ausging,
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