Stachel der Erinnerung
immer einen Bach oder einen Wasserfall zu finden, wenn es nötig war.
Die ersten Schritte lockerten ihre verkrampften Muskeln und das Nachlassen der Schmerzen versetzte sie in einen geradezu euphorischen Zustand. Frohgemut stapfte sie den Pfad entlang und je stärker sich der Wald lichtete, desto größer wurde ihre Überzeugung, dass sie es schaffen, dass alles gut werden würde.
Der Pfad mündete in einen Feldweg, in dem sie Spuren von Hufen und Wagenrädern sehen konnte. Ihr Herz machte einen Sprung. Der erste Teil ihres Planes hatte funktioniert. Sie wanderte weiter, während die Sonne am Horizont immer höher stieg. Eine Rast zu machen getraute sie sich nicht, außerdem hoffte sie noch immer, dass ein Fuhrwerk des Weges kommen und sie mitnehmen würde. Da hätte sie dann Zeit genug, sich auszuruhen.
Aber außer ein paar Bauern, die mit Handkarren zu den Feldern marschierten, begegnete ihr niemand. Endlich kamen einige Hausdächer in Sicht und Tessa beschloss, um Unterkunft zu bitten. Sie brauchte ein paar Stunden Schlaf und sie brauchte etwas zu trinken, denn wider Erwarten stolperte sie über keinen Fluss und keinen Bach, an dem sie ihren Durst hätte stillen können.
Sie kniff die Augen zusammen, denn es schien, als näherte sich ihr eine Gruppe Reiter. Sofort sah sie sich nach einer Möglichkeit um, sich zu verbergen, allerdings gab es hier nur flaches Land ohne Büsche und Sträucher.
Mit bangem Herzen blickte sie den Reitern entgegen. Eine Staubwolke begleitete sie, und machte es unmöglich, die genaue Anzahl festzustellen. Tessa drückte sich an den äußersten Wegesrand, zog den Kopf zwischen die Schultern und hoffte, dass sie einfach an ihr vorbei stürmen würden.
Doch ihre Hoffnung erfüllte sich nicht. Der Anführer zügelte sein Pferd und hob eine Hand, zum Zeichen, dass seine Gefolgsmänner ebenfalls anhalten sollten.
Widerstrebend hob Tessa den Kopf. Alles Blut wich aus ihrem Gesicht und ein einziges, ungläubiges Wort schlüpfte über ihre Lippen: „Serre.“
fünfzehn
Berits Finger trommelten ungeduldig auf der Tischplatte. Wie üblich ließ das Frühstück auf sich warten. Und auch von Tessa, sonst immer die Erste auf den Beinen, war nichts zu sehen. Außerdem regnete es noch immer in Strömen. An weitere Freiluftaktivitäten beim Schiff war also nicht zu denken. Hendrik und seine Männer mussten das mitbekommen haben und dachten vermutlich gar nicht daran, aus den Federn zu kriechen. Wenigstens von dem selbst ernannten Medium blieb sie vorläufig verschont. Aber das war auch der einzige Pluspunkt des gerade begonnenen Tages.
Aus der Küche drang das Klappern von Geschirr und Töpfen. Als Nick Dayton endlich die Kanne mit dem Kaffee auf die Anrichte stellte, sprang Berit auf.
„Habe ich schon gesagt, dass der Service in diesem Saftladen unter jeder Sau ist?“, erkundigte sie sich böse und füllte eine Tasse mit Kaffee.
„Heute noch nicht.“ Er stellte einen Korb mit Brötchen neben die Kanne. „Es freut mich, dass ich Sie nicht enttäuscht habe. Ma’am.“
„Sehr witzig.“
„Ernsthaft, Ms Olsen“, er summte das Ms dermaßen aufdringlich, dass es ohne Weiteres eine Beleidigung darstellen konnte, „der Tag, an dem Sie sich nicht beklagen, wird der schwärzeste meines Lebens sein.“
„Schön, dass ich Ihren Lebensinhalt dermaßen bereichere“, schnaubte Berit und häufte sich Brötchen samt Butter und Marmeladenpäckchen auf den Teller. Wenn sie zornig war, konnte sie Unmengen an Nahrungsmitteln verdrücken, deshalb würde sie nach Beendigung ihres Aufenthalts hier vermutlich fünf Kilo mehr auf die Waage bringen.
Während sie lustlos an den Marmeladenbrötchen kaute, tröpfelten nach und nach die Männer des Bergungsteams ein. Hendrik gehörte zu den Letzten.
Sichtbar aufgekratzt kam er an ihren Tisch. „Gut geschlafen, Schönste?“
Berit knurrte eine unverständliche Antwort, aber an Hendrik glitt ihre schlechte Laune einfach ab, denn er bediente sich reichlich vom Frühstücksbuffet und setzte sich dann ungefragt ihr gegenüber.
„Ist Tessa auch schon da? Oder schon wieder weg?“, erkundigte er sich, während er Zucker in den Kaffee rührte. „Ich muss ihr doch die Sache erklären, ehe sie böse auf mich ist.“
„Sie soll böse auf dich sein. Hast du es denn noch immer nicht kapiert? Sie ist nichts für dich. Lass sie in Frieden.“ Berits Stimme hätte Glas scheiden können.
Hendriks Lächeln hätte Glas schmelzen können. „Solange ich kein
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