Stachel der Erinnerung
doch zu Hause. Wer soll die Winterstoffe weben? Wir haben noch lange nicht genug davon. Die Beeren müssen gepflückt und zum Trocknen aufgelegt werden und …“
„Tochter, der Wunsch des Jarls kann nicht zurückgewiesen werden. Außerdem bist du Serre versprochen, wenn du für jemanden webst, dann für ihn“, sagte Arne ruhig.
„Ihr dürft mich nicht hierlassen“, flehte Meldis, sichtlich den Tränen nahe. „Hier bin ich nichts.“
Nick trat zu ihr und nahm ihre kalten Hände, ehe sie sie auf dem Rücken verstecken konnte. „Du bist meine zukünftige Ehefrau. Ich möchte, dass du etwas von meinem Leben in der Jarlsfeste erfährst. Ich möchte, dass wir uns besser kennenlernen.“ Er machte eine Pause, um seinen Worten Nachdruck zu verleihen. „Wenn dir nach angemessener Zeit die Idee, meine Frau zu werden, noch immer zuwider ist…“ Nur das Knistern des Feuers in der Mitte des Raumes unterbrach die Stille. Alle Augen waren auf ihn gerichtet. Und in allen breitete sich bei seinen nächsten Worten völlige Fassungslosigkeit aus.
„… dann gebe ich dich frei.“
zwanzig
Meldis fing sich als Erste. „Darauf gibst du mir dein Wort, Serre?“, fragte sie und blickte ihn misstrauisch an.
„Darauf gebe ich dir mein Wort, Meldis“, sagte Nick. „Wenn du mir dein Wort gibst, mich in dieser Zeit wie einen Menschen zu behandeln und nicht wie ein lästiges Insekt.“
Er streckte die Hand aus. Meldis betrachtete sie einige Atemzüge lang, dann griff sie danach. „Ich gebe dir mein Wort, dich wie alle anderen zu behandeln.“ Sowohl ihre Worte als auch der Tonfall klangen ausgesprochen arrogant. Aber Nick sagte nichts, sondern neigte nur den Kopf.
„Wenn deine Eltern reisefertig sind und du dich verabschiedet hast, kommst du mit Alva zum Haus des Jarl. Dort erwarte ich euch und führe euch zu eurer Unterkunft.“
Er sah Meldis so lange an, bis sie nickte. Dann trat er auf Arne zu, der neben seiner Frau stand. „Ich gelobe, das Leben eurer Tochter mit meinem eigenen zu schützen. Ihr braucht euch keine Sorgen zu machen.“
Arne musterte ihn eine Weile prüfend, ehe er ihm die Hand reichte. „Du weißt, ich schätze dich, Serre. Meinen Segen hast du. Und auch den von Zora.“
Die Frau neben ihm nickte. „Du bist für mich wie ein Sohn und ich hoffe bei Thor, dass meine Tochter zur Vernunft kommt.“
Nick verbeugte sich leicht. „Ich danke euch. Eine gute Heimreise und Glück auf allen euren Wegen.“ Er drehte sich um und begegnete Tessas Blick. Ihr Gesicht war schneeweiß und ihre Miene so starr wie Holz. Unbewusst runzelte er die Stirn, kam aber nicht darauf, was sie dermaßen aus dem Gleichgewicht gebracht hatte. Deshalb verließ er schneller als beabsichtigt den Raum. Wieder einmal hatte er das unbestimmte Gefühl, schuld an ihrem Zustand zu sein.
Tessa blickte ihm nach. Langsam löste sich ihre Erstarrung und sie biss sich auf die Lippen, um nicht laut zu fluchen. Außerdem hielt sie sich an einem Holzpfeiler fest, damit sie nicht losstürmte und Nick an den Schultern packte, um ihn so lange zu schütteln, bis sich sein bisschen Gehirn in einer Ecke sammelte. Wie konnte er den Eltern von Meldis so ein Versprechen geben – wenn er wusste, dass ihr Leben an einem seidenen Faden hing? Wollte er um jeden Preis eine sich selbst erfüllende Prophezeiung aussprechen? Sie schluckte. Er war ein gedankenloser Idiot. Er war … sie atmete tief durch und wandte sich an Meldis.
„Erstaunlich, wie sich Serre um dein Wohlbefinden kümmert! Das spricht doch wirklich für ihn.“ Sie blickte das Mädchen beifallheischend an, aber Meldis zuckte bloß mit den Schultern.
„Wenn er wirklich glaubt, dass ich ihn auch nur einen Wimpernschlag lang als meinen zukünftigen Gatten in Betracht ziehe, dann hat er nicht mehr Verstand als der Holzeimer dort drüben. Aber er hat selbst gesagt, er gibt mich frei, wenn ich meine Meinung nicht ändere. Ich wäre verrückt, diesen Handel auszuschlagen. So bekomme ich meine Freiheit auf ganz einfache und eindeutige Weise wieder. Ohne mich mit meinem Vater oder dem Jarl herumärgern zu müssen. Weil Serre mich aus seinem eigenen freien Willen gehen lässt.“ Mit einer endgültigen Geste band sie das Bündel mit ihren Habseligkeiten zusammen, und wartete, bis ihre Eltern begannen den Wagen zu beladen. Bevor sie aufstiegen, ließ sie sich drücken und herzen und winkte dem davonrollenden Gefährt schließlich nach.
„Komm“, sagte sie dann zu Tessa. „Machen wir uns
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