Stachel der Erinnerung
auf den Weg zum Jarlshaus. Ich bin schon gespannt, was uns erwartet.“
Tessa wusste nicht, ob sie die heitere Zuversicht des Mädchens ärgern oder freuen sollte. Die Geringschätzung, mit der Meldis über Serre und seine Gefühle sprach, erzürnte sie.
Schon als sie das erste Mal hier gewesen war, hatte es keinerlei Gründe für Meldis’ Misstrauen gegen Serre gegeben. Was immer sein Vater auch getan haben mochte, den Sohn dafür bezahlen zu lassen, war nicht in Ordnung. Denn Serre hatte sich nur einer Sache wirklich schuldig gemacht: Meldis zur Frau haben zu wollen. Und zwar um jeden Preis.
Sie sah Serre schon von Weitem. Er ging vor dem Jarlshaus auf und ab. Sein helles Haar glänzte in der Sonne und er strich sichtlich genervt immer wieder die drei Zöpfchen hinter sein Ohr. Die Ähnlichkeit in seinen Bewegungen und der Körperhaltung mit jenen von Nick Dayton erklärte, warum er ihr bei ihrem vorangehenden Aufenthalt so vertraut erschienen war.
Als er sie entdeckte, blieb er stehen und blickte ihnen entgegen. Sobald sie vor ihm standen, lächelte er sie an. „Also, dann lasst uns gehen. Der Jarl hat euch ein eigenes Haus zur Verfügung gestellt. Ich habe es vorhin noch einmal überprüft und das Feuer anfachen lassen. Alles ist bereit. Wenn etwas fehlt, braucht ihr es nur zu sagen.“
Er ging neben Meldis, die den Kopf in vorgetäuschter Sanftmut gesenkt hatte. Tessa folgte ihnen in gebührendem Abstand. Das Haus befand sich direkt beim Schutzwall, es war kleiner als jenes, in dem sie während ihres Aufenthalts mit Arnes Familie untergebracht gewesen war, und besaß auch keine abgegrenzten Nebenräume. Ein einziger Raum, in dessen Mitte das Herdfeuer brannte und so Helligkeit schuf. Felle und Decken lagen auf den Holzbänken, die an der Wand entlang liefen. Auf einem Board befanden sich Pfannen, Töpfe und Holzgeschirr. Der obligate Webstuhl stand in einer Ecke.
Tessa ließ sich auf die Bank fallen, doch Meldis zog eine dünne Leinenbahn von einem Gegenstand an der gegenüberliegenden Wand. Dann stieß sie einen Freudenschrei aus. „Ein Bett! Alva sieh nur, ein richtiges Bett. Und die Decke ist mit Daunen gefüttert. Wie weich das ist!“ Sie schlang die Arme um die Decke und drückte sie an sich. „Im Winter muss das himmlisch sein, statt der harten kratzigen Wolldecken, die wir benutzen.“
Tessa nickte und versuchte Begeisterung zu zeigen. Aber da es nur ein Bett und eine Decke gab, fiel ihr Lächeln etwas gequält aus. Wie in Arnes Haus und in Kaldaks Hütte würde sie entweder auf dem Boden beim Feuer oder auf der an der Wand entlanglaufenden Bank schlafen. Mit kratzigen Decken.
Ihr Blick wanderte weiter, entdeckte die Steinmühle, mit der das Getreide gemahlen wurde und die Tonkrüge mit den Vorräten. Mochte sich das Leben von Meldis auch verbessert haben, das von Alva war so trist wie eh und je.
Sie hob den Kopf und merkte, dass Nick sie ansah und dabei fragend eine Braue hob. Als Antwort zuckte sie mit den Schultern. Im Augenblick gab es keine Möglichkeit mit ihm alleine zu sprechen.
Er schien zu verstehen, denn er wandte sich an Meldis. „Ich hoffe, es ist alles zu deiner Zufriedenheit. Wenn du etwas brauchst, dann schick Alva zu mir, ich kümmere mich darum.“
Melids hatte sich aufs Bett gesetzt. „Wann sehe ich dich wieder?“, fragte sie statt eines Dankeswortes und klang dabei so geschäftsmäßig, dass sich Tessa zusammenreißen musste, um sie nicht zornig anzufahren.
„Heute Abend. Wir werden das Abendessen gemeinsam einnehmen an der Tafel des Jarls. Das gilt auch für dich, Alva.“
„Für Alva?“, fragte Meldis erstaunt. „Eine Sklavin an der Tafel des Jarls?“
„Sie wird dich persönlich bei Tisch bedienen“, sagte Nick, nach einem Zögern, das nur Tessa auffiel. „Schließlich kennt sie alle deine Vorlieben.“
Meldis schien noch immer nicht ganz überzeugt, aber sie erörterte die Sache nicht weiter. „Gut, wie du wünschst, Serre“, antwortete sie betont nachgiebig.
„Ich habe die Wachen beim Tor angewiesen, dass du die Feste nicht verlassen darfst, Meldis. Nur in meiner Begleitung“, setzte er hinzu und sofort war es mit der Nachgiebigkeit des Mädchens vorbei.
„Ich bin also deine Gefangene, Serre Erikson. Das steckt hinter all dem“, fuhr sie ihn wütend an.
„Es ist zu deinem Schutz“, erklärte er ruhig. „Wenn ich mich von meinen Aufgaben trennen kann, dann begleite ich dich gerne nach draußen. Aber alleine oder mit Alvas Begleitung darfst
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