Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Stachel der Erinnerung

Stachel der Erinnerung

Titel: Stachel der Erinnerung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kat Martin
Vom Netzwerk:
sagen.«
    Sie redeten
gemeinsam über ihre Kindheit. Jessie erzählte Matt von den schrecklichen Tagen,
nachdem sie das Black Boar Inn verlassen hatte, und Matt sprach von seiner
Jugend. »Ich war erst sechs, als meine Mutter starb. Mein Vater hat zwar wieder
geheiratet, aber ich habe ihn nicht sehr oft gesehen. Er war immer beschäftigt
mit der Verwaltung seiner Ländereien, und er hat sehr viel Zeit in London
verbracht.« Matt pflückte Gänseblümchen aus dem dichten grünen Gras. »Für mich
war es eine schwierige Zeit. Ich war sehr einsam und sehnte mich nach
Zuneigung. Ich habe meine Stiefmutter angebetet, doch sie hegte nicht die
geringsten Gefühle für mich.« Ein leiser, bitterer Ton schlich sich in seine Stimme.
»Ironischerweise hat sie meinen Vater geliebt, doch der wiederum machte sich
nichts aus ihr.« Er warf die Blume weg. »Liebe und Leid. Es ist eigenartig, wie
nahe sie beieinander liegen.«
    Jessie
überkam eine große Traurigkeit bei seinen Worten. Sie konnte die Wahrheit darin
nicht leugnen. Liebe bedeutete sehr oft auch Qualen. Allein der Gedanke, daß
Matt abreisen würde, genügte, um einen heftigen Schmerz in ihrem Herzen
hervorzurufen. Sie legte ihm die Hand an die Wange. »Deine Stiefmutter hat dich
sicher gemocht, Matthew Wie hätte sie dich nicht mögen können?«
    Zögernd
breitete sich ein unsicheres Lächeln auf seinem Gesicht aus. Dann legte er
sich rücklings auf die Decke, zog Jessie auf sich und küßte sie voller
Leidenschaft. Sie hätten sich hier im Gras am See auf der Stelle geliebt, wäre
nicht Sarah bei ihnen gewesen.
    Und wäre
sie nicht gerade in diesem Moment mit einem lauten Platscher in den See
gefallen. »Sarah!« Jessie und Matthew sprangen gleichzeitig auf und stürzten
zum Ufer. Sarahs Kopf kam hinter einer Reihe dünnen Schilfrohres an die
Oberfläche. Ihre Augen waren vor Entsetzen weit aufgerissen, und sie schrie aus
Leibeskräften. Heftig wedelte sie mit den Ärmchen und strampelte im Wasser.
Doch dann zog ihr rosa Rüschenkleid sie unter Wasser und trieb sie in den See
hinaus.
    »Mein Gott!
« jammerte Jessie. »Sarah ertrinkt, und ich kann nicht schwimmen!«
    Matthew
hatte sich bereits seinen Überrock von den Schultern gerissen und zerrte
gerade die Stiefel von den Füßen. Er holte tief Luft und hechtete mit einem
Sprung ins kalte Wasser.
    »Oh, lieber
Gott ...« Jessie stand bis zu den Waden im Wasser. Der Rock klebte an ihren
Beinen, und sie beobachtete die Wasserblasen, die sprudelnd an die Oberfläche
drangen.
    Eine
Ewigkeit schien vergangen zu sein, ehe erst Matthew prustend wieder an die
Oberfläche kam und dann Sarahs Kopf. Sie weinte,
spuckte und rang nach Luft, aber sie lebte! Mit kräftigen Schwimmstößen
erreichte Matthew das rettende Ufer, und Jessie
watete ihnen schluchzend entgegen. Matthew hielt die Kleine in seinen Armen und
drückte den Kopf des Kindes beschützend an seine Schulter.
    »Es ist
alles in Ordnung«, versicherte er, doch er zitterte, und das nicht nur wegen
seiner nassen Kleidung.
    Jessie
umklammerte die eiskalten Hände des Kindes, die kleinen Adern zeichneten sich
blau unter der blassen Haut ab. »Wir bringen dich jetzt nach Hause, Schatz. Du
wirst bald wieder warm und trocken sein.«
    Sarah
verbarg ihr Gesicht an Matthews Schulter, dann schlang sie die kleinen Ärmchen
um seinen Hals. »Papa«, flüsterte sie. »Papa ...«
    Matthew
hielt sie noch fester. »Ich bin bei dir, meine Süße. Papa ist hier bei dir.
Bitte, weine nicht mehr. Alles ist wieder gut.«
    Jessie
starrte ihn wortlos an. Ein dicker Kloß saß in ihrem Hals, und als sie
versuchte, ihn hinunterzuschlucken, schmerzte es. Sie hatte Matt Seaton
geliebt, als sie ein kleines Mädchen war, doch nie hatte sie ihn mehr geliebt
als in diesem Augenblick.
    Schweigend
lief sie neben ihm her zur Decke. Jessie hob sie vom Boden auf und legte sie um
die beiden. Dann nahm sie den Picknick-Korb
und Matthews Kleidungsstücke, die er ausgezogen hatte, trug sie zum Ponywagen
und kletterte zu den beiden hinein.
    Das Pferd
und den Wagen nahm ihnen vor dem Eingang zum Haus ein alarmierter Stallbursche
ab. Eilends rannten Jessie und Matthew die Treppe hinauf ins Kinderzimmer und
zogen Sarah das nasse, schmutzige Kleid aus.
    »Der Himmel
sei uns gnädig!« Viola kam erschreckt hinzu. Ihr rundes, gütiges Gesicht
drückte helle Aufregung aus. »Was ist denn mit meinem armen kleinen Lämmchen
passiert?« Unter den langen Augenwimpern sah Sarah sie mit ihren großen blauen
Augen an.

Weitere Kostenlose Bücher