Stachel der Erinnerung
»Papa hat mich aus dem Wasser gerettet«, sagte sie. Und dann begann
sie zu weinen.
Vi blickte
verblüfft zu Jessie, die wiederum Matthew ansah. Doch ihr Mann lächelte nur
leicht verlegen.
»Armer
kleiner Liebling.« Viola griff nach dem Kind und hüllte den kleinen, zitternden
Körper in ein warmes Handtuch. Sarah schniefte noch ein paarmal, dann winkte
sie Matthew und Jessie getröstet zu, als Viola sie zum Feuer trug.
Jessie
holte tief Luft. »Oh, Gott, Matthew. Sarah wäre ertrunken, wenn du nicht
gewesen wärst.«
Matthew
antwortete nicht, doch ein kleiner Muskel in seiner Wange zuckte.
Offensichtlich waren seine Gedanken in die gleiche Richtung gewandert. Bald
würde der Tag kommen, an dem er sie verlassen mußte.
Wer würde
dann auf sie aufpassen?
Matt lief
mit weit ausholenden Schritten über den Weg, der zum Gewächshaus führte. Sein
Vater hatte ihm gesagt, daß er dort Jessie finden könnte. Nachdem seine
Besprechung mit den Pächtern beendet war, konnte er es kaum erwarten, sie zu
sehen.
Er öffnete
leise die Tür und schlüpfte in das warme, feuchte Innere des Hauses. Es war ein
sehr großes Gewächshaus, gebaut aus Hunderten von dicken, undurchsichtigen
Glassteinen. Überall wuchsen mächtige Pflanzen mit breiten, dünnen oder
fleischigen Blättern. Blumen, die man normalerweise nicht in diesem kalten
englischen Klima fand, standen hier neben exotischem Gemüse und Früchten.
Jessie war
sehr beschäftigt. Sie grub den fruchtbaren schwarzen Boden um. Ihre Hände waren
bis zu den Handgelenken voller Erde. Sie setzte einen winzigen Apfelsinenbaum
in den Boden, trat die Erde drumherum fest, und als sie sich nach der Gießkanne
bückte, bot sie ihm einen verlockenden Anblick auf ihren festen, kleinen Po.
Er grinste
und schlich sich, so leise er konnte, näher, damit sie ihn nicht bemerkte. Doch
als er es beinahe geschafft hatte, knirschte der Kies unter seinen Füßen, und
Jessie wirbelte herum. Da sie die Gießkanne noch in der Hand hielt, plätscherte
das Wasser über seine frischgeputzten Stiefel.
Ein
fröhliches Lachen perlte aus ihrer Kehle. »Du mußt noch üben, Mylord, wenn du
versuchen willst, mich zu überraschen!« Wieder lachte sie vergnügt, als sie
seinem Blick folgte, mit dem er seine ehemals glänzenden Schaftstiefel
betrachtete, die nun gebadet waren.
Ein Lächeln
breitete sich langsam auf seinem Gesicht aus, und seine Augen blitzten. »Hah,
du kleine Hexe – dafür wirst du mir bezahlen!«
Jessie
quiekste auf, als er nach ihr griff. Sie hüpfte zur Seite und rannte dann durch
die Reihen der Pflanzen, Blumen und kleinen Orangenbäume. Matthew war ihr dicht
auf den Fersen. Behende schlug sie hier einen Haken und dort einen, versteckte
sich prustend hinter einer großen Pflanze und erreichte den hinteren Teil des
Gewächshauses. Dort riß sie die niedrige Holztür zu einem kleinen Schuppen auf,
in dem die Blumentöpfe standen, und verschwand darin.
Matt
schmunzelte zufrieden. Aus diesem Schuppen gab es nur einen Weg hinaus – früher
oder später würde er sie erwischen. Dennoch betrat er das nur schwach erhellte
Innere des Schuppens. Zu warten würde ihm nichts nützen, und außerdem machte
die Jagd auch viel mehr Spaß.
Langsam
ging er zum Schrank am hinteren Ende des Schuppens, riß die Tür auf – und
blickte in einen leeren Schrank. Stirnrunzelnd schloß er sie wieder, zog ein
benachbartes moosiges Brett beiseite – und fand wieder nichts. »Du kommst besser
raus, Jess. Du kannst dich nicht ewig vor mir verstecken.« Seiner Stimme fehlte
eine echte Drohung allerdings völlig.
Er stand
nun mitten im Schuppen und bewegte sich lautlos zu einer Ecke, wo eine
farbverschmierte Zeltbahn hing. Sie war dahinter – er roch es geradezu.
Grinsend riß er das schwere Tuch beiseite – und mußte feststellen, daß sie auf
einer wackligen hölzernen Leiter thronte. Doch noch ehe er sie greifen konnte,
hob sie die rostige Gießkanne und goß einen Schwall eiskalten Wassers über
seinen Kopf. Spuckend und lachend stieß er die Leiter um, fing Jessie mit
beiden Armen auf und warf sie über seine Schulter.
»Jetzt habe
ich dich!« Er lachte triumphierend, als er den Schuppen verließ, mit der
quietschenden und strampelnden Jessie über seinem Rücken.
Immer noch
lachend setzte er sie auf einer alten Holzbank innerhalb des Gewächshauses ab,
plazierte sich neben sie und zog sie auf seinen Schoß.
Jessie
gluckste verwundert, als er ihren Rock hochhob. »Matthew! Was tust du
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