Stachel der Erinnerung
hätte sie es vielleicht zugelassen, daß er sie
liebte. Denn das ersehnte sie sich auch, gestand sie sich im stillen. Doch als
sich nun seine Arme um sie schlossen und er sie an sich zog, griff sie nach einem
leeren Krug aus Porzellan, der auf der Anrichte stand. Und als er seine Lippen
auf ihre preßte und sie zu küssen begann, hob sie den Krug drohend über ihren
Kopf, hielt aber dann unschlüssig inne.
Sie
zögerte, als sie seine sanften Lippen auf ihren fühlte. Sie waren so warm und
so bezwingend, ihr ganzer Körper begann zu prickeln. Ihr Griff um den Krug
lockerte sich etwas. Sie wollte ihn nicht verletzen. Lieber Gott, sie liebte
ihn doch. Er hatte sie gerettet, aus welchen Gründen auch immer, und dafür
liebte sie ihn um so mehr.
Er legte
eine Hand um ihre Taille, drehte sie leicht zur Seite und drängte sein Knie
zwischen ihre Schenkel. Mit einem kräftigen Stoß stupste er sie aufs Bett und
warf sich über sie. Selbst als er ihr durch sein Gewicht die Luft aus den Lungen
preßte, hielt Jessie den Krug umklammert. Sie konnte kaum atmen, so schwer lag
er auf ihr. Ihre Brüste drängten sich gegen seinen Oberkörper, sein Gesicht lag
an ihrem Hals, den er mit vielen kleinen Küssen bedeckte. Eine Hand schloß sich
um ihre Brust, und ihre Brustspitze richtete sich unter seiner Berührung auf.
»Verflucht,
Matthew Seaton.« Mit aller Kraft versuchte sie, ihn von sich zu schieben, doch
er rührte sich nicht. Nicht einen Zentimeter. »Du wirst das nicht tun – nicht,
solange du so betrunken bist.« Noch einmal versuchte sie, ihn von sich zu
schieben, doch ohne Erfolg. Und dann bemerkte sie zu ihrem Verdruß, daß ihr
dieses Gefühl, ihn so auf sich zu spüren, gefiel. Sie mochte seinen warmen Atem
auf ihrer Haut, sein muskulöses Bein, das er zwischen ihre Schenkel geklemmt
hatte, seine harte Erregung, die sie trotz all der Röcke nicht ignorieren
konnte.
»Matthew
...«, flüsterte sie und fuhr mit der Hand durch sein Haar. Sanft strich sie es
ihm aus der Stirn. Doch statt einer Antwort hörte sie unvermittelt ein leises
Schnarchen, und Jessie versteinerte. Lieber Gott im Himmel – dieser große
Dummkopf war eingeschlafen!
Einen
Augenblick lang blieb sie unbeweglich liegen und sammelte all ihre Kraft.
Erleichterung durchflutete sie, allerdings mit einem Anflug von Enttäuschung.
Sie plazierte den Krug auf die Matratze, wo er wie eine stumme Warnung
liegenblieb.
»Zur Hölle,
Matthew, du wiegst mindestens neunzig Kilo.« Sie packte seine Schultern und
wand sich mit keuchendem Atem unter ihm hervor. Er lag platt auf dem Bauch, das
Gesicht in der Matratze gedrückt, und schlief. Nichts konnte ihn mehr aufwecken.
Der Aufruhr, den er angezettelt hatte, bekümmerte ihn nicht im geringsten.
Beinahe tat
er ihr leid. Kapitän Matthew Seaton, der so anständige Graf von Strickland,
hatte einen gewaltigen, sehr unanständigen Skandal herbeigeführt. Sie selbst
hätte eventuell auch ein kleines Schuldgefühl haben können – wenn nicht jetzt
die Möglichkeit bestand, daß dieser arrogante Graf ihr ganzes Leben
verpfuschte.
Was soll
ich tun? überlegte Jessie, während sie neben dem Bett stand und auf ihn
heruntersah. Matt hatte sie zwar vom Altar weggeholt, doch von einer Ehe hatte
er nichts gesagt. Er wollte ganz einfach nur mit ihr schlafen. Allein aus
diesem Grund hatte er sie hierhergeschleppt. Wäre er nicht so betrunken
gewesen, hätte er wohl auch dafür gesorgt, daß es klappte.
Dennoch
hatte Kapitän Matthew Seaton von der Marine Seiner Majestät sich noch nie so
unüberlegt verhalten. Er trank Alkohol sonst nur in bescheidenen Mengen. Nie
hatte er sich jemals so zugeschüttet. Damit war es ihm gelungen, die Hochzeit
des Herzogs von Milton platzen zu lassen, er hatte die Braut verschleppt und
auf die gesamte feine Gesellschaft gepfiffen. Die Konsequenzen seiner Tat
würden allerdings sie am härtesten treffen. Wenn Matthew sie nicht heiratete,
wäre sie ruiniert. Kein anständiger Mann würde sie noch haben wollen. Sie
würde nie im Leben das Heim haben, das sie sich so verzweifelt wünschte, nie
durfte sie Kinder bekommen.
Jessie biß
sich auf die Lippe und tigerte in dem kleinen Zimmer auf und ab. Ihr Kopf
dröhnte jetzt wieder, und ihr Herz schlug viel zu schnell. Es gab nur einen
einzigen Ausweg – Matt mußte sie heiraten. Er mußte einsehen, daß es keinen
anderen Weg gab.
Er hatte
ihre Hochzeit verhindert, doch das mußte nicht unbedingt bedeuten, daß er sie
auch heiraten wollte. Er hatte
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