Stachel der Erinnerung
Fußende des Bettes. Sein Magen schien sich umstülpen zu wollen. »Gott im
Himmel, Jessie, sag mir, daß ich mich nicht irre. Habe ich dich wirklich von
deiner Hochzeit weggezerrt?«
»Ich fürchte,
genau das hast du getan, Mylord.«
»Und
danach? Was ist geschehen, nachdem wir hier angekommen sind?«
Die Röte
aus ihrem Gesicht bedeckte jetzt auch ihren Hals und ihren Ausschnitt. »Du ...
du hast angefangen, mich zu küssen. Du hast mir gesagt, daß du genau das tun
würdest, was du so lange schon tun wolltest, seit ich vor deinen Füßen in der
Pfütze gelandet war. Du hast mich ausgezogen, und dann lagen wir plötzlich
zusammen im Bett.«
Er
schüttelte den Kopf. Er konnte nicht leugnen, daß in diesen Worten Wahrheit
lag. »Verdammt.« Dann kam ihm ein entsetzlicher Gedanke. »Himmel, ich habe
dich doch nicht etwa gezwungen? So etwas würde ich niemals tun ... wenigstens
kann ich mir das nicht vorstellen.«
Jessie
senkte die Lider. »Du hast mich nicht gezwungen«, gestand sie leise.
»Dennoch
war es für dich das erste Mal. Gott, ich hoffe nur, daß ich dir nicht weh getan
habe.«
Statt einer
Antwort schüttelte sie nur den Kopf. Er wollte noch etwas sagen, doch dann kam
ihm noch ein anderer Gedanke. Er zog die Bettdecke zurück: Das Laken zeigte
nicht die kleinste Spur von Blut. »Ich denke, wir haben miteinander geschlafen
...«
Die Röte in
ihren Wangen vertiefte sich. »Ich ... ich weiß nicht genau, was wir getan
haben. Du hast auf mir gelegen, hast mich berührt, mich geküßt ...«
»Aber auf
dem Laken ist kein Blut. Vielleicht haben wir ja doch nicht ...«
»Blut?« Sie
wurde mit einem Mal bleich.
»Jungfräuliches
Blut. Wenn du noch Jungfrau gewesen wärst und wir miteinander geschlafen haben,
dann wäre jetzt Blut auf dem Laken.« Trotz des Dröhnens in seinem Kopf fühlte
er, wie Zorn in ihm aufstieg. Wenn er nicht der erste war – mit wie vielen
Männern hatte sie dann wohl schon geschlafen? Der Gedanke, daß sie womöglich
mit einem anderen Mann im Bett gelegen hatte, machte ihn vor Eifersucht ganz
krank.
Jessies
Gesicht war angespannt. »Willst du damit etwa sagen, daß ich keine Jungfrau
mehr bin – mehr war?« Ihre tiefblauen Augen blitzten wütend. »Ich habe noch
nie einen Geliebten gehabt – wenn du das damit andeuten willst. Ich ... ich
meine, bis zur vergangenen Nacht.« Sie hob trotzig das Kinn. »Ich habe dir
gesagt, ich weiß nicht so genau, was du getan hast. Vielleicht hast du ja nicht
vollständig ...«
»Laß nur –
ich glaube, ich verstehe, was passiert ist oder eben nicht passiert ist.«
Innerlich stöhnte er auf. So betrunken, wie er gewesen war, wußte nur Gott
allein, was er ihr wirklich angetan hatte – oder eben nicht angetan hatte. Und
was ihre Unschuld betraf, im Augenblick würde er ihr zunächst einmal glauben
müssen. Außerdem, wenn sie ihm etwas hätte vormachen wollen, hätte sie schon
dafür gesorgt, daß Blut auf dem Laken war.
»Eigentlich
ist es vollkommen gleichgültig, was wir getan oder nicht getan haben«, wehrte
er ab. »Tatsache ist, daß dein Ruf ruiniert sein wird, wenn ich dich
zurückbringe. Mein Vater wäre am Boden zerstört, und es ist ganz sicher nicht
dein Fehler, daß das alles passiert ist. Wir werden mit einer Sondergenehmigung
heiraten, sobald ich die Sache arrangieren kann.«
Jessie
sagte nichts, sie starrte ihn nur an und nickte dann langsam.
»Danach
werden wir nach Belmore zurückkehren. Wenigstens wirst du dort vor dem Klatsch
in Sicherheit sein.« Lieber würde er zu seinem eigenen Grundbesitz reisen, nach
Seaton Manor, wohin
er offensichtlich auch gewollt hatte. Doch dahin konnte er Jessica nicht
mitnehmen. Dort war die Möglichkeit zu groß, daß sie entdeckt wurden.
Matthew?«
Er war
gerade dabei, sein Hemd anzuziehen, das zerknittert war und wie eine
ungelüftete Kneipe roch. Er hielt inne. »Ja?«
»Ich weiß,
daß du die Dinge so nicht geplant hattest, aber ich verspreche dir ... was
immer auch geschehen mag ... ich werde dir eine gute Frau sein.«
Er sah sie
an, dachte, wie wunderschön sie doch war und wie bezaubernd sie aussah, nur in
ihrem einfachen Hemdchen, so sanft und
so verletzlich. War sie wirklich die Frau, die sie zu sein schien, oder war sie
nur eine verlockende kleine Dirne? Er trat auf sie zu, legte ihr einen Finger
unter das Kinn und hob ihren Kopf.
»Ich bin ganz
sicher, daß du das sein wirst.« Mit dem Finger strich er über ihre zitternden
Lippen. Bestimmt würde sie ihm eine gute
Frau
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