Stachelzart
Schwestern“, meinte Herr Zeisig und drückte damit den richtigen Knopf bei Vera.
Sie schenkte ihm ihr schönstes Lächeln, das wie ich fand, mit dem ganzen Botox in ihrem Gesicht ziemlich gruselig aussah. Ich nickte den Zeisigs höflich zu und entschuldigte mich kurz. Ich wollte meine Haare auf der Damentoilette richten und kurz durchatmen, denn Vera begann gerade mich wirklich zu nerven. Und ich hatte mir doch vorgenommen, mich zu beherrschen.
Als ich wiederkam, drehte sich das Gespräch gerade um das Unwetter und unsere geplante Fahrt in die Berge.
„Ich würde an Ihrer Stelle nicht mehr so hoch in die Berge fahren“, meinte Frau Zeisig. „Das da draußen ist nur der Vorläufer des Unwetters. Es soll noch schlimmer werden!“
„Ach“, Vera machte eine wegwerfende Handbewegung. „Bis dahin sind wir längst in unserem schönen Wellness Hotel. Und den Abstecher zu meinem Termin kriegen wir vorher auch noch hin!“
Ich wagte einen Blick nach draußen und schüttelte den Kopf. Woher nahm Vera nur ihren Optimismus? Es regnete immer noch in Strömen. Und wenn das erst der Anfang war, wollte ich lieber gar nicht wissen, wie das Wetter noch werden würde.
„Wo haben Sie denn Ihren Termin?“, wollte Herr Zeisig wissen.
„In Richtung der Lechtaler Alpen. Auf einer Berghütte“, entgegnete Vera.
„Auf einer sehr einsam gelegenen Berghütte“, ergänzte ich.
„Oh, das hört sich nicht gut an. Ich würde bei diesem Wetter nicht abseits der Hauptstraßen fahren“, meinte Herr Zeisig. Und fuhr dann fort: „In dieser Gegend kann es bei so einem Wetter auch zu Erdrutschen kommen, das habe ich neulich erst in der Zeitung gelesen. Die Gefahr durch Erdrutsche nimmt immer mehr zu.“
„Papperlapapp! Ich will diesen Mann so schnell wie möglich besuchen. Das Grundstück ist Gold wert und mein Kunde will es partout kaufen. Der Kunde nervt mich schon seit Wochen mit der Frage, ob ich etwas erreicht habe. Aber so einfach ist das ja nicht, wenn jemand weder telefonisch noch per E-Mail erreichbar ist. Und auf meinen Brief hat dieser Einsiedler einfach nicht reagiert!“ Vera schüttelte ärgerlich den Kopf. „Dabei würde mein Kunde wirklich viel Geld für das Grundstück bezahlen!“
„Sie sind ja eine engagierte Maklerin!“, sagte Frau Zeisig. Scheinbar hatte Vera den Zeisigs während meiner Abwesenheit bereits ausführlich erzählt, womit sie ihre Brötchen verdiente.
Vera nippte an ihrem Latte macchiato und antwortete höflich: „Man tut, was man kann!“
Man tut, was man kann !, äffte ich ihre Stimme im Geiste nach. Und schalt mich gleich darauf selbst.
Mist! Scheinbar hatte Vera bei mir schon die erste Stufe auf der „ Genervtheitsskala “ erreicht. Obwohl ich mir ganz fest vorgenommen hatte, ruhig zu bleiben. Deshalb hatte ich heute Morgen sogar ein paar Baldrianpillen geschluckt. Scheinbar ließ die Wirkung nun nach und das war gar nicht gut! Denn Vera und ich standen erst ganz am Anfang unserer Kurzreise und mussten noch die nächsten Tage miteinander verbringen. Und stand die „ Genervtheitsskala “ erst auf Stufe 4, würde es für uns beide sehr ungemütlich werden.
Die „ Genervtheitsskala “ hatte ich ausschließlich für Vera entwickelt, denn kein anderer Mensch auf diesem Planeten schaffte es außer ihr, mich so sehr zu nerven, dass ich mich selbst nicht mehr im Griff hatte.
Die Skala reichte von 0 = gar nicht genervt bis zu 4 = kurz davor, Vera zu töten .
Stufe 0 hielt leider nie lange an. Denn wenn wir uns länger als zwei Stunden im gleichen Raum aufhielten, wurde aus Stufe 0 sehr schnell Stufe 1. Dann wiederholte ich in Gedanken Veras Worte und kommentierte sie bissig, allerdings ohne meine Kommentare laut auszusprechen.
Stufe 2 hatte bereits leichte körperliche Auswirkungen auf mich. Ich fühlte, wie der Ärger langsam in mir hochkroch und sich ausbreitete. Das schlug mir meistens auf den Magen. Leider aber nicht so, dass ich dann keinen Hunger mehr hatte, sondern das genaue Gegenteil. Ich brauchte Zucker, um mich weiterhin zu beherrschen. Gerne in Form von Schokolade.
Erreichten wir Stufe 3, nahm ich Veras Bemerkungen nicht mehr wortlos hin. Ich wehrte mich. Vera setzte daraufhin die gemeinste ihrer Waffen ein: Die Mütterchen-Harmlos-Waffe. Sie stellte sich als hilflose ältere Dame dar, die doch keiner Fliege etwas zuleide tat und die so ungerecht behandelt wurde, dass sie sogar schon Herzprobleme hatte.
Tatsächlich schaffte Vera es, mich mit der
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