Stadt der blauen Paläste
Schutzmauer umgeben, die keiner von uns gewagt hätte zu durchbrechen.«
Sie blieb vor dem Geschäft stehen, starrte die Hüte an, die der Hutmacher an einer Schnur vor dem Laden aufgehängt hatte. Sie berührte einen von ihnen, bei dem ein weiches seidenes Band zu einer riesigen Schlaufe gebunden war. Der Händler kam eilfertig aus dem Laden gelaufen und löste den Hut von der Schnur. Sie wehrte ab, drehte sich um und ging weiter. Sie blieb vor dem nächsten der Geschäfte stehen. Es war ein Geschäft mit Schokolade und feinem Gebäck. Sie starrte die Auslage an, nahm die biscotti wahr, fragte, ob sie mit Honig gemacht seien, obwohl es sie ganz gewiss nicht interessierte. Sie ging zum nächsten der Geschäfte, hatte das Gefühl, als hätte sie inzwischen sämtliche der einhundertsiebzehn Inselchen dieser Stadt durchquert, wäre über die vierhundert Brücken gelaufen und hätte die sechshundert Kanäle durchschwommen. Und dies alles an einem einzigen Vormittag.
»Ich warte auf Euch an der piazzetta, an der Säule des Markus«, sagte Renzo, der hinter ihr hergegangen war, und berührte sie behutsam am Arm. »Nach der Jagd der Bären und Stiere im Hof des Dogen. Am domenica. Wenn der erste Stern am Himmel steht.«
Sie hörte seine Stimme, als sei ihr Kopf in Watte verpackt und man habe vergessen, ihre Ohren dabei frei zu lassen.
»Eigentlich dachte ich, wir seien inzwischen so etwas wie Freunde«, sagte Renzo ratlos, als sie zwar stehen blieb, aber schwieg. »Ich meine, immerhin habt Ihr mich schon einmal in Euer Boot gelassen und sogar nach Hause gebracht.«
»Das heißt wohl kaum, dass ich deswegen mit Euch auch carnevale feiern muss«, sagte Crestina kurz, und ging zielstrebig auf San Marco zu, um zumindest noch einen Rest des Gottesdienstes zu erleben.
Und um sich von irgendwoher Rat zu holen.
17. Keine Gräber in Livorno
Von den Juden und ihren Lügen.
Das Buch stand mitten auf dem Küchentisch, gegen einen Kochtopf gelehnt, sodass es jedem entgegenblickte, der die Küche betrat.
An diesem Morgen betraten die drei Frauen gemeinsam den Raum, da sie, was ungewöhnlich war, auch gemeinsam auf dem Markt einkaufen waren. Sie stellten ihre voll beladenen Körbe mit ihren Vorräten auf die Bänke an der Seite der Küche. Crestina schob ihre Ölkanne mitten auf den Tisch, geriet dabei an den Kochtopf, sodass es ein schepperndes Geräusch gab. Dann entdeckte sie das Buch.
»Was ist das?«, fragte sie irritiert in die Runde. »Woher stammt das?«
Lea, die als Letzte schwer atmend in den Raum gekommen war, legte ihren Beutel ab, kniff die Augen zusammen und holte dann umständlich ein Augenglas hervor.
»Also jetzt auch hier. Manchmal denke ich, er verfolgt mich überallhin«, murmelte Margarete zwischen zusammengebissenen Zähnen.
Lea hatte inzwischen das Augenglas aufgesetzt und starrte Margarete entsetzt an.
Die schüttelte den Kopf.
»Nun, du darfst ganz sicher sein, dass es nicht von mir stammt«, sagte sie dann tonlos.
»Das habe ich auch nicht angenommen«, sagte Lea hastig.
»Die Frage bleibt, wie dieses Buch hier auf diesen Küchentisch kommt«, sagte Crestina entschieden. »Das sollte sich doch wohl feststellen lassen, schließlich war das Haus verschlossen. Und natürlich interessiert mich, von wem es stammt.«
Lea nahm das Buch in die Hand, blätterte darin, dann nickte sie. »Es stammt aus der Bibliothek, die ich soeben bearbeite, hier oben in der rechten Ecke auf dem hinteren Blatt steht der Name des früheren Besitzers.«
»Und wie gelangte es in die Küche?«, wollte Margarete wissen, noch immer bleich im Gesicht.
»Das wird sich ganz rasch feststellen lassen«, sagte Lea zornig und stand auf. Sie verließ die Küche, stellte sich auf die unterste Treppenstufe zur sala und brüllte Moises Namen in einer Lautstärke nach oben, als wolle sie diesen Jungen von der anderen Seite der Lagune zurückrufen.
Und Moise kam. Er kam viel zu schnell, sodass offensichtlich war, dass er auf diesen Ruf gewartet hatte. Er lächelte freundlich in die erstarrten Gesichter der Frauen und zugleich so, dass niemand den Eindruck haben konnte, dass es sich hier um den Sündenbock handelte.
»Weißt du, woher dieses Buch stammt?«, fragte Lea streng.
Moise ließ sich Zeit mit seiner Antwort. Er nahm das Buch in die Hand und begann zu buchstabieren.
»L, u, t, h, e, r, M, a, r, t, i, n. Martin Luther. Es stammt von Martin Luther«, erklärte er dann mit sanfter belehrender Stimme, so, als seien diese drei
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