Stadt der Blumen strava3
eines Alchimisten wohnte, das hier vor mehr als vier Jahrhunderten gestanden hatte. Und seiner Mutter schien es besser zu gehen; konnten diese beiden Tatsachen womöglich miteinander zusammenhängen? Sie hatten ihr Wissen ausgetauscht und Georgia hatte ihm erzählt, dass Lucien gesund war, seit er sich in Talia aufhielt.
Falco hatte den gewaltigen Schritt gewagt, zu Nicholas zu werden, um geheilt zu werden. Gestern war Sky an einem Ort der Heilung aufgetaucht, an dem auch Parfüms hergestellt wurden. Was hatte das zu bedeuten und warum war die Wahl auf ihn gefallen? Nur weitere Besuche in Giglia würden diese Fragen beantworten.
Georgia war völlig aufgewühlt. Sie war seit dem vergangenen September nicht mehr in Talia gewesen, was fast sechs Monate zurücklag. Damals hatten sie und Nicholas gemeinsam eine dramatische Stravaganza nach Remora unternommen und er hatte – obwohl in Talia totgeglaubt – das geflügelte Pferd um den Campo geritten. Sie hatte Lucien bei jenem Anlass nicht gesehen, genauer, sie hatte ihn seit über anderthalb Jahren nicht gesehen. Falcos Tod in Talia und seine neue Identität als Nicholas hatten den Übergang zwischen den beiden Welten verschoben, sodass für sie mehr als ein Jahr vergangen war, für ihre Freunde in Talia jedoch nicht. Und sie und Nicholas konnten überdies nur nach Remora reisen, während Sky auserwählt war nach Giglia zu reisen, der Heimatstadt von Nicholas. Wenn nun allerdings Lucien in diese berühmte Stadt kam, wollte Georgia nirgendwo lieber sein als dort. Sie schüttelte den Kopf. Das war doch schierer Irrsinn. Sie hatte sich gezwungen ohne Lucien auszukommen, nachdem sie sich vor so langer Zeit auf dem Campo von Remora verabschiedet hatten. Er lebte in einer Welt, die sie nicht bewohnen, sondern höchstens besuchen konnte. Und er liebte sie nicht, war nur ein guter Freund. Sein Herz gehörte der jungen Duchessa von Bellezza, die schön, klug und mutig war und trotz der Gefahren, die dort auf sie warteten, nach Giglia reiste.
Auch Nicholas war zutiefst aufgewühlt. Wie Georgia hatte auch er gelernt, das aufzugeben, was er liebte: seine Familie, seine Stadt, sein ganzes altes Leben.
Und er hatte sich gut eingewöhnt. Sein körperliches Wohlergehen war der große Preis, dem er alles andere geopfert hatte, und das Opfer hatte sich gelohnt. Er lebte behaglich bei den Eltern von Lucien, hatte viele Freunde und er hatte Georgia. Georgia war er sogar völlig ergeben. Nicht nur wegen ihrer Tapferkeit und ihres Wagemutes, wenngleich ihn das zunächst begeistert hatte. Es war ihre Exotik, ihre Herkunft aus der Zauberwelt des einundzwanzigsten Jahrhunderts. Diese Faszination war nicht geringer geworden, obwohl er inzwischen viele andere Menschen aus dieser Zeit kannte. Und schließlich hatte sie ihn gerettet, hatte ihn hierher gebracht, in eine Welt und eine Zeit, die ihn hatte heilen können, sodass er wieder reiten und fechten und, was das Beste war, ohne Hilfsmittel gehen konnte. Sie hatte ihm sein Leben zurückgegeben – aber das änderte nichts an der Tatsache, dass sie fast siebzehn und er erst fünfzehn war. Und über solche Beziehungen rümpften die anderen in ihrer Schule die Nase. In Talia hätte niemand etwas dagegen gehabt, selbst wenn die Frau noch älter gewesen wäre als Georgia. Aber hier konnte er sich nur mit einer engen Freundschaft begnügen
und hoffen, dass sich die Dinge im Lauf der Zeit ändern würden. Er schämte sich für seine heimliche Erleichterung darüber, dass Lucien sicher in einer anderen, Jahrhunderte zurückliegenden Welt festsaß.
Und nun war auf einmal alles verändert! Talia hatte sich wieder in den Vordergrund gedrängt, kaum dass er seinen alten Namen gehört hatte. Allein die Vorstellung, dass Sky in der kommenden Nacht in Giglia seinen Bruder wieder sehen würde, ließ die neue Welt mit Schule und Kantine und Turnhalle dünn und unerheblich erscheinen. »Meine Güte, wie still ihr seid!«, sagte Rosalind, als sie wieder zurückkam. »Ich dachte schon, es sei niemand mehr da.«
»Entschuldigen Sie, Mrs Meadows«, sagte Georgia, die aus ihren Gedanken aufwachte. »Wir haben über … die Fechtmeisterschaft geredet.«
»Sag doch bitte Rosalind zu mir. Ich wusste gar nicht, dass du dich fürs Fechten interessierst, Sky.«
»Doch«, sagte er schnell. »Nicholas ist unser Mannschaftskapitän. Ich wollte wissen, ob ich es nicht auch lernen kann.« Nicholas spielte sofort mit. Ganz instinktiv waren sie alle drei bemüht sowohl
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