Stadt der Blumen strava3
Sackleinen zusammenhielten, mit dem der Block umwickelt war.
Dann schritt sie langsam immer wieder um den bloßgelegten weißen Stein herum, um ihn sich erneut anzuschauen. Ihre Lehrlinge sahen schweigend zu, denn sie kannten ihre Methoden: Es würde Tage dauern, bevor sie den Meißel ansetzte.
Giuditta rief sich die Besuche in Bellezza ins Gedächtnis, bei denen sie die junge Duchessa kennen gelernt hatte. Titel und Hoheitszeichen bedeuteten der Bildhauerin nichts; sie sah in allen Personen nur Menschen mit ihren Formen und Besonderheiten. Junge, schöne Modelle interessierten sie dabei eher weniger, weil sie die eigene Jugend längst hinter sich gelassen hatte und jetzt eher am Charakter einer Person interessiert war und an der Art, wie er sich in Gesicht und Haltung ausdrückte.
Ihre letzte Auftragsstatue war die des jungen Prinzen Falco gewesen und damals hatte sie kein Modell gehabt. Aber sie hatte den Jungen auf mehreren offiziellen Anlässen gesehen und war von seiner zarten Schönheit beeindruckt gewesen.
Und von noch etwas, das hinter dieser Schönheit lag: einer Art von Unbeugsamkeit, die ihn der Bildhauerin trotz seiner Jugend interessant erscheinen ließ. Ihre Statue für das Grabmal von Prinz Falco zog bereits viele Besucher in den Palast von Giglia. Sie zeigte einen schlanken Jüngling, dessen Hand auf dem Kopf seines Lieblingshundes ruhte und dessen Blick von etwas weit Entferntem angezogen wurde. Die Darstellung war intim, ganz unförmlich; sie war so ganz anders als die klassischen Statuen, die im Bogengang in der Piazza Ducale aufgereiht standen.
Und nun die Duchessa. Giuditta stöhnte, als sie die zahlreichen Skizzen betrachtete, die sie gemacht hatte. Diese künstlerischen Auftragsarbeiten der Adligen waren schwierig. Sie sollten gemessen und würdig aussehen. Gerne hätte sie Arianna voller Bewegung dargestellt, mit hochgereckten Armen und den Fuß vom Boden erhoben, das geöffnete Haar über den Rücken flatternd, wie eine Amazone oder eine Nymphe. Aber das kam für die Herrscherin eines wichtigen Stadtstaates einfach nicht in Frage.
Meine nächste Figur, dachte Giuditta, wird ein Bauer, der um die achtzig ist.
In Bellezza fand eine offizielle Senats-Zeremonie statt. Der Regent Rodolfo und seine Tochter, die Duchessa, verliehen einem jungen Mann einen besonderen Ehrentitel.
»Ich möchte dem Senat kundtun«, sagte Rodolfo, »dass auf meine verstorbene Frau, die letzte Duchessa unserer herrlichen Stadt, vor zwei Jahren am Festtag der Maddalena ein Attentat verübt wurde. Da es vereitelt wurde und die Duchessa herausfinden wollte, wer dafür verantwortlich war, ist die Angelegenheit damals nicht publik gemacht worden. Der nächste Anschlag war dann leider erfolgreich, wie Ihr wisst, und entriss uns die kostbare Anwesenheit unserer Herrscherin. Wir haben unsere Untersuchungen abgeschlossen, ohne einen sicheren Beweis zu finden, wer für den Anschlag verantwortlich war.«
Er schwieg, damit die anderen dreiundzwanzig Senatoren die Information verdauen konnten.
»In dem Bemühen, unsere Untersuchungen geheim zu halten, war es ebenfalls notwendig, den Namen der Person zu verheimlichen, die den ersten Anschlag auf die Duchessa vereitelte.«
Mit einer Geste forderte er Lucien auf vorzutreten. »Aber inzwischen ist es angebracht, Euch mitzuteilen, das es sich um meinen Lehrling Luciano Crinamorte handelte.«
Die Senatsmitglieder applaudierten begeistert.
»Als Dank für den großen Dienst, den er unserer Stadt geleistet hat, entlasse ich ihn nunmehr aus der Lehre. Und die Duchessa verleiht ihm im ehrenvollen Angedenken an ihre verstorbene Mutter den Titel eines Ritters, eines Cavaliere von Bellezza.«
Lucien kniete vor Arianna nieder und sie legte ihm eine dunkelrote Seidenschärpe mit einem großen silbernen Siegel um, in das das Stadtemblem einer Maske eingeprägt war.
»Erhebe dich, Cavaliere Luciano Crinamorte«, sagte sie mit ihrer klaren, melodischen Stimme. »Leiste deiner Stadt gute Dienste, dann wird auch sie dir immer zu Diensten sein.«
Die drei Teenager saßen erschöpft in Skys Wohnung. Sie hatten geredet, bis sie nicht mehr konnten. Jeder hing nun seinen eigenen Gedanken nach.
Für Sky war alles noch viel zu unglaublich, um es verstehen zu können. Gestern noch war er ein ganz gewöhnlicher Schüler der Barnsbury-Gesamtschule gewesen, der mit seiner kranken Mutter in einer kleinen Wohnung neben der Schule wohnte. Heute war er ein Zeitreisender, der über dem Laboratorium
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