Stadt der Engel
nicht nach mir um. Über ihre Schultern sah ich: die dunklen Umrisse einer Stadt, Lichtblitze von Detonationen. Einer sagte: We’re bombing Bagdad with missiles. Bagdad bei Nacht unter dem Beschuß amerikanischer Missiles. Einer der Männer sagte immerzu: Unbelievable, und ich wußte nicht, war das ein Ausdruck von Entsetzen oder von Bewunderung für die amerikanische Technik. Ein amerikanischer Korrespondent in Bagdad wurde befragt, er sagte, das schlimmste sei es gewesen, als vor fünfundzwanzig Minuten die Erde gebebt habe vom Einschlag einer Rakete. Es sei ein unbeschreibliches Gefühl, wenn die Missiles mit ihrem unheimlichen Heulen dicht über einem dahinfliegen würden. Ja, Bagdad liege unter Beschuß, »but we don’t know much«. Eine ältere Frau kam vorbei, aus der Fotoabteilung, sie sah die Fernsehbilder, fragte: What happened? Die Männer sagten: Bagdad is being attacked. O my goodness, sagte sie, und sie murmelte etwas wie: Sie habe ein paar Tage keine Nachrichten gehört, und nun gleich das! Ich empfand, daß ich zu schweigen, mich nicht einzumischen hatte. Amerikaner unter sich. Ein Ausländerhotel sei getroffen worden, hörte ich den Sprecher sagen, und auch ein Gebäude, in dem der Irak an Stoffen zurHerstellung von Atombomben gearbeitet habe, aber da habe sofort ein Mitarbeiter der UNO erklärt, er sei vor wenigen Wochen in dieser Anlage gewesen, die sei schon längere Zeit stillgelegt.
Hat Bush das mit Clinton beraten? fragten wir uns am nächsten Tag, während wir in der Lounge saßen und Tee tranken. Die Clinton-Regierung fing an. Überall im Land sollten zur gleichen Zeit die Glocken läuten, eine neue Ära sollte eingeläutet werden. Während die Bomben auf Bagdad fielen.
Francesco sagte: Der amerikanische Traum. Es stellte sich heraus: Die Amerikaner unter uns glaubten nicht an ihn. Ein blonde Frau in mittleren Jahren, Freundin von Emily, eine Rechtsanwältin, sagte, erst jetzt, durch die Lektüre des Buches von Malcom X, erfahre sie eigentlich, wie ein Schwarzer das weiße Amerika erleben müsse, seit kurzem wohne sie in einem Viertel, in dem auch Schwarze der Mittelklasse wohnten, was sie zuerst sehr irritiert habe, weil sie es einfach nicht gewöhnt war, Schwarze normale Dinge tun zu sehen wie die Weißen. Ihr Sohn gehe auf eine Privatschule, da sei kein schwarzes Kind, und auch zu Hause spiele er mit keinem.
Ich hatte am Morgen im Radio ein Gespräch mit einer jetzt alten schwarzen Köchin gehört, die lange bei der Familie Rockefeller gearbeitet hatte und dann bei einem hochrangigen Politiker, der anscheinend in eine Betrugsaffäre verwickelt war. Was sie denn davon mitbekommen habe, wurde sie gefragt. Und ob sie in der Küche nicht darüber gesprochen hätten. O no! sagte sie ganz erschrocken. Wir hatten soviel zu tun. Dreimal am Tag kochen! Es war nicht leicht.
Tja, sagte Peter Gutman. Klassenlose Gesellschaft.
Mit einem möglichst harmlosen Gesicht hatte er sich eines Abends wieder bei mir eingestellt: Ist es erlaubt? Er wollte wissen, was ich schrieb. Ich reichte ihm ein paar Blätter hin. Es war die Antwort auf den Brief eines Freundes, eine Art Selbstanalyse. Er las sie lange, zu lange, fand ich, und schwieg. Wir tranken den Wein, den er mitgebracht hatte, aßen Salzgebäck.
Wie du weißt, sagte Peter Gutman nach einer Weile, habe ich eine Telefonliebe.
Und was sagt die, gerade jetzt?
Sie rät zur Mäßigung. Vor allem gegen sich selbst. Sie kann es auf den Tod nicht leiden, wenn man gegen sich selbst wütet.
Wer tut denn das. Du?
Ich auch, sagte Peter Gutman. Manchmal.
Gerade jetzt?
Wir sprechen nicht von mir, Madame. Wir sprechen von Ihnen. Hören Sie auf einen alten weisen Mann: Die Liebe zu sich selbst ist die schwerste unter allen Liebesarten.
Und du, mein Lieber, bekommst demnächst einen Preis für durchsichtige Ablenkungsmanöver. Ich aber frage mich in jüngster Zeit: Vielleicht habe ich durch ein Versäumnis die große Chance meines Lebens verpaßt.
Und die wäre? wollte Peter Gutman wissen.
In den Westen zu kommen. Im Mai 1945: Über die Elbe. Wohin unser Flüchtlingstreck strebte, wie all die anderen Trecks und all die kampfmüden Wehrmachtssoldaten auch, die ihre Waffen weggeworfen hatten. Und auch die Offiziere, die sich ihre Offiziersepauletten und ihre Orden abgerissen hatten und am Straßenrand an kleinen Feuerchen ihre Papiere verbrannten, wofür ich sie übrigens verachtete. Es ging um Stunden. Dabei glaubten wir es ja geschafft zu haben,
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