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Stadt der Engel

Stadt der Engel

Titel: Stadt der Engel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christa Wolf
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ungewollt. Und übrigens habe er sich angewöhnt, sich hinter der anderen Sprache, mit der er aufgewachsen sei, zu verstecken.
    Da erzählte ich ihm, das war Wochen später, womit meine Phantasie sich zwanghaft beschäftigte, während er die Treppe wieder hinaufstieg, ich in mein Apartment ging und mich mit einer Margarita, meinem Lieblingscocktail, vor die neue Folge von »Star Trek« setzte: Ich hatte um seine rätselhafte Person eine Kriminalhandlung gesponnen, hatte eine Visitenkarte erfunden, die aus seiner Brieftasche gefallen sein sollte und die ich ihm nicht zurückgegeben hatte. Auf der stand, so dachte ich es mir, die Adresse eines Anwaltsbüros, eine seriöse Adresse in Beverly Hills, Malrough & Malrough, erfand ich kühn, zwei Brüder, warum denn nicht, und auf der Rückseite der Visitenkarte entdeckte ich also in Peter Gutmans schwer leserlicher Schrift, die ich natürlich auch erfinden mußte, einen Termin und die Notiz, daß er, Peter Gutman, ganz eilig noch eine »Gladis Meadow« anrufen solle, unter einer Nummer in Pacific Palisades. Wie wäre es, fragte ich mich, wenn ich diese Gladis meinerseits anrufen würde. Sicherlich würde ich eine dunkle sympathische Stimme hören, die auf die Frage, ob sie Gladis Meadow sei – die Namen flogen mir nur so zu – überrascht mit yes antworten würde, und ich würde sagen, mit freundlicher, aber fester Stimme: Thank you so much! und würde den Hörer auflegen, wobei ich mir mit einem Hochgefühl bewußt machte, daß ich mit diesem einzigen Anruf, mochte er in derbanalen Wirklichkeit oder nur – aber was hieß da nur! – in meinem Kopf stattgefunden haben, auf unlösbare Weise in die Geschichte zwischen Mr. Gutman, der dunkelstimmigen Gladis Meadow und dem Anwaltsbüro Malrough & Malrough verwickelt war.
    Peter Gutman war begeistert von dieser Phantasie und hätte gerne seine Rolle in der Geschichte weitergespielt und Gladis Meadow unter die wirklichen Gestalten eingereiht. Was sei denn überhaupt »wirklich«? Dies sei eine der Kernfragen, an denen sein Philosoph sich abgearbeitet habe. Da wußte ich schon, daß Peter Gutman sich seit Jahren mit diesem Philosophen abmühte, dessen Namen er kaum je nannte, als würde er, wenn er ihn auf seinen Namen festlegte, einen Zauber brechen. Na siehst du, hatte ich gesagt, aber wir wußten beide nicht, was er »sehen« sollte.
    Zu weit will ich nicht vorgreifen, nur soviel: Gladis Meadow hatte ihre Schuldigkeit getan, uns zusammenzuführen, und verschwand ohne Aufhebens von der Bildfläche.
    Unvermutet hatte ich Peter Gutman am nächsten Tag in der Eingangshalle des CENTER wiedergetroffen, er kam mir von den Fahrstühlen her entgegen, grüßte höflich und strebte dem Ausgang zu, während ich nach rechts zu den Schaltern der First Federal Bank abbog, wo ich endlich meine ATM-Card abholen konnte, die mir von einer der elfengleichen jungen Damen mit triumphierendem Lächeln überreicht wurde, so daß ich begriff: Erst von dieser Minute an war ich eine vollwertige Kundin dieser Bank, mehr noch: eine vollwertige, wenn auch vorübergehende Bewohnerin dieser Stadt. Was mochte Mr. Gutman in diesem Hochhaus gesucht haben? In Gedanken versunken fuhr ich mit dem Fahrstuhl in den vierten Stock, vergaß, den schwarzen Security-Mann wiederzugrüßen, holte mein Schlüsselbündchen aus dem Schränkchen, fuhr zu meiner sechsten Etage hoch, überflog die Namensschilder an den Türen, an denen ich vorbeikam, und ließ mich auf den Stuhl hinter meinem Schreibtisch fallen. Während in mir noch die Frage nachden Geschäften von Mr. Gutman weiterlief, mußte ich zugleich herausfinden, was mich eben auf dem Weg zu meinem Büro gestört hatte, eine winzige Beobachtung mußte es gewesen sein, die den Weg ins Bewußtsein nicht geschafft hatte und an der mein Gehirn sich nun rieb wie der Fuß an einem Sandkorn im Schuh. Sie, sagte ich zu ihm – das war am nächsten Tag, wir sprachen schon Deutsch miteinander, waren aber noch per »Sie« –, da Sie ja nun mal im ms. victoria wohnten, dachte ich mir, Sie konnten ganz gut etwas mit Kunst zu tun haben. Oder ein Manager sein, in Kunstdingen. Filmproduzent? Eher nicht. Museumsdirektor, auf Einkaufstour? Kaum. Raten Sie weiter, sagte Peter Gutman, als gebe seine Person mir noch Rätsel auf, nur zu. Berater, sagte ich. Irgendeine Art von Berater. Oder Gutachter, von denen es Tausende gibt. Fragt sich nur, auf welchem Gebiet. Wir hatten unseren Spaß.
    Aber woher war mir in meinem Büro das

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