Stadt der Engel
hatten sich von uns entfernt, sie schlenderten am Neutra-Haus entlang, Francesco fotografierte. Ein Auto näherte sich ihnen von hinten, ein schwarzer Mann am Steuer, eine schwarze Frau auf dem Beifahrersitz. Sie kurbelte ihr Fenster herunter und rief den beiden, die sie für neugierige Müßiggänger hielt, ein Schimpfwort zu. Francesco, anstatt zu schweigen, antwortete aggressiv, da bremste der Fahrer, ganz dicht neben unserem Auto, die Frau stürzte heraus, eine stattliche, vielleicht dreißigjährige Frau, sehr selbstbewußt, in großer Lautstärke ließ sie drohend eine Schimpfkanonade gegen uns los, Bob faßte mich am Arm, schob mich rasch zum Auto, sagte begütigend zu der Frau: We’re just looking at the architecture, uns war wohl beiden bewußt, wie absurd diese Erklärung der schwarzen Frau vorkommen mußte, sie stieg wieder in ihr Auto, das fuhr mit quietschenden Reifen weg, Francesco und Ines stiegen bei uns ein. Die Männer mit den Strohhütenvor den Häusern blickten so gleichmütig wie zuvor. Bob sagte: She’s just angry, und ich dachte: Das mußten wir ja auch mal erleben.
Karl, ein Freund von Bob Rice, von Beruf Fotograf, hatte mit einigen Gästen in Bobs Wohnung auf uns gewartet und mixte uns Getränke. Gin Tonic, ich trank zu schnell, es tat mir gut. Mit den Gläsern in der Hand schlenderten wir durch Bobs Haus, natürlich ein Neutra-Haus, like a shrine, sagte eine Besucherin leise. Das Bücherregal mit einer Menge Büchern von und über Richard Neutra. Im Arbeitsraum handschriftliche Neutra-Briefe unter Glas. Aber das Stück, das Bob am wichtigsten war, das einzige, um das er und seine Frau sich bei ihrer Scheidung gestritten hätten, war das Plakat eines alten Films mit dem Titel: I MARRIED A COMMUNIST. Tom wollte wissen, ob man bei uns einen Film hätte drehen können mit dem Titel: »Ich heiratete einen Kapitalisten«? Das hängt ganz vom Schluß ab, sagte ich. Wenn die Ehe an diesem Widerspruch zerbrechen würde – warum nicht!
Eine Lady war da, Frau eines Professors, sorgfältig gekleidet und frisiert, mit dem überpflegten faltenreichen sonnengebräunten Gesicht vieler älterer Amerikanerinnen, sie wollte von mir wissen, ob es denn richtig sei, diesen deutschen kommunistischen Führer, wie hieß er doch gleich, ins Ausland entkommen zu lassen, wohin doch gleich, ich sagte: Chile, und: Er heißt Honecker. Right, sagte die Lady, und wo ich denn wohnte. Berlin, sagte ich und schob nach: Eastberlin. Oh, sagte die Lady, und ob ich da schon immer gewohnt hätte. Yes, sagte ich, mit einem leicht perversen Genuß, und da wußte die Lady nichts mehr zu sagen, ich aber hätte etwas darum gegeben, sehen zu können, welche Bilder jetzt in ihrem Kopf abliefen.
Bob Rice, sensibel für Schwingungen in seinem Umkreis, begann eine Geschichte zu erzählen. Die Geschichte, wie er Freuds Mantel gewann und wieder verlor. Richard Neutras Witwe nämlich hatte ihm, dem treuen Chronisten ihres Mannes, nach Neutras Tod seinen Mantel als Erinnerungsstückübergeben. Ursprünglich, hatte sie ihm versichert, sei dies einmal Freuds Mantel gewesen, the overcoat of Dr. Freud, beide seien ja Österreicher gewesen, beide aus Wien, sie hätten einander ganz gut gekannt. Der Mantel sei inzwischen alt, aber nicht schäbig gewesen, gute Vorkriegsware, Bob wußte: In diesem Mantel würde er jeder Lebenssituation gewachsen sein, und wir verstanden, daß er durchaus in Situationen geraten konnte, die eine solche warme Schutzhülle dringend erforderten. Er habe, sagte Bob, diesen Mantel nicht getragen, aber er habe ihn in seinem office in der Universität an die Tür gehängt, so daß er ihn immer im Auge hatte. Dann habe er für ein paar Tage wegfahren müssen, er habe seine Tür entgegen dem, was üblich war, und entgegen seiner Gewohnheit abgeschlossen, das könne er beschwören. Als er zurückkam, habe er seinen Augen nicht trauen wollen: Der Mantel sei weg gewesen. In seiner Verzweiflung habe er eine große Befragungs- und Suchaktion gestartet, vergebens natürlich. Diesen Verlust könne er nie verwinden. Nun versuche er sich mit dem Gedanken zu trösten, daß der Mantel durch eine Kette unglaubhafter Zufälle an einen der homeless people geraten sei und daß er den nun wärme in diesem nassen und kalten Winter.
What do you think about my story, fragte Bob mich später.
Hör zu, sagte ich, morgen werde ich anfangen, ein Buch zu schreiben, das wird heißen:
DIE STADT DER ENGEL ODER THE OVERCOAT OF DR. FREUD
DIE STADT
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