Stadt der Engel
nicht mal die Fahrgestellnummer wisse, wie ich.
Trotzdem sagte ich thank you zu der jungen Polizistin, sie erwiderte: You’re welcome, ich kaufte ein neues Rad und bin ein einziges Mal damit den Uferweg nach Venice gefahren, mehr aus Pflichtgefühl denn aus Lust: Das mußte man erlebt haben. Dabei merkte ich, daß ich nur unter Schwierigkeiten auf- und absteigen konnte, weil die Zwischenstange zu hoch war, ich brachte das neue Rad also in die Garage und schloß es gewissenhaft mit dem neuen Schloß an, welches nach einer Woche auch noch brav am Geländer hing, das Rad aber warsäuberlich von ihm abgetrennt und wiederum gestohlen, doch noch einmal würde ich die ohnehin überforderte Polizei mit dieser Bagatelle nicht belästigen. Die Einsicht, daß ich in diesem Landstrich nicht Fahrrad fahren sollte, mußte ich mich eben hundertsechs Dollar kosten lassen.
»Bob Roberts«, ein Film zur rechten Zeit, konnte man denken, mit ingrimmigem Vergnügen begleiteten die Zuschauer in dem kleinen Kino in der Second Street den Weg eines korrupten, betrügerischen Senatorenkandidaten, der, ein Folksänger, Massen in Trance versetzt, durch Songs, die an Bob Dylan erinnern, auf die er verlogene Texte macht, und als es am Ende für ihn nicht mehr so gut steht, simuliert er mit seinem Team einen Anschlag auf sich selbst, als angeschossener Kandidat im Rollstuhl gewinnt er die Wahlen, und dann zeigt die Kamera, wie sich die Beine des angeblich Gelähmten während eines Konzerts vergnügt im Takt bewegen. Der Mann, der gekauft war, um ihn zum Schein anzuschießen, ist inzwischen von Roberts’ fanatisierten Anhängern umgebracht worden.
Ein Film, der an Schärfe nichts zu wünschen übrig läßt, sagte ich, während wir, der ganze Clan, auf der dunkelnden, belebten Second Street zum ms. victoria gingen, zu Francesco, der uns zu einem Risotto eingeladen hatte. Die aktuellen Bezüge zum gegenwärtigen Wahlkampf seien doch zum Greifen gewesen. Ich hätte mir denken können, daß Peter Gutman, der ausnahmsweise mitgekommen war, mir widersprechen würde. Schön und gut, sagte er. Nur daß Filme wie dieser nicht die Spur einer Wirkung hätten. Nicht nur ich, auch die anderen wollten das nicht glauben. Wer diesen Film gesehen habe, der übrigens gut gemacht gewesen sei, könne den gegenwärtigen Wahlkampf nicht mehr so naiv und leichtgläubig erleben wie einer, der den Film nicht gesehen habe. Danke für eure Argumente, sagte Peter Gutman, der mir manchmal mit seinem Sarkasmus auf die Nerven ging. Oder glaubt ihr etwa, die Anhänger unserer drei gegenwärtigen Kandidaten, die in irrationalen Begeisterungstaumel verfallen, wenn ihr Star vor ihnen auftritt, sehen diesenFilm? Nicht einer, sag ich euch. Aber die aufputschenden Reden der Sonntagsprediger im TV, die sehen und hören sie. Und sie empfangen die Botschaft, daß es normal und gottwohlgefällig ist, den Verstand auszuschalten, wenn man über den Mann entscheidet, der in den nächsten Jahren dieses Land regieren soll.
Bei Francesco und Ines kamen wir in ein wohnliches, mit italienischen Decken, Kissen, Wandbehängen ausgestattetes Apartment. Francesco übernahm in der Küche das Kommando, mußte sich auf den Risotto konzentrieren und konnte sich an unserer Diskussion nur noch mit seltenen Einwürfen beteiligen. Lutz aber wollte Peter Gutman seinen Kulturpessimismus, wie er ihn nannte, nicht durchgehen lassen. Ein Film wie dieser sei doch jedenfalls mutig, und man könne ihm nicht einreden, daß er keine Wirkung habe, auch wenn die nicht zu messen sei. Oder, Emily?
Emily, die Filmwissenschaftlerin, die uns diesen Film empfohlen hatte, schüttelte den Kopf. Wirkung? sagte sie. No. Nichts. Nothing. Niente.
Bleibt also ein Geheimtip, resümierte Peter Gutman befriedigt.
Aus irgendeinem Grund war ich wütend auf ihn und warf ihm vor, es mache ihm Spaß, mit seinen düsteren Prognosen recht zu haben.
Peter Gutman zog die Augenbrauen hoch.
Aus der Küche kam ein Zischen, als Francesco die Fischfilets in das siedende Öl warf. Ines fragte, welche Art Dressing wir an den Salat haben wollten, natürlich italian dressing, sagten wir, und Francesco überließ Ria, die auch jetzt ihr Ledermützchen aufbehielt, die letzten entscheidenden Minuten am Risotto, das Rühren, das vorsichtige Nachgießen der heißen Brühe, das Abmessen des Butterstückchens, das Unterheben des Parmesan, den sie gerieben hatte. Francesco schichtete die Fischfilets, mit Zitronenstückchen und Dill garniert, auf eine
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