Stadt der Engel
Unwesentlichem unterscheiden. Doktor Kim lächelte so unergründlich wie eh und je, er setzte sechs Nadeln, löschte das Licht, sagte: Relax! und ich, im Halbschlaf, dachte, vielleicht ist es nicht Eitelkeit, vielleicht weiß er, daß jeder ihm die Eigenschaften zuschreiben wird, die er selbst gerne hätte, und mir fiel ein, was ich ihm nicht gesagt hatte: Daß er es wohl liebte, Einfluß auf andere auszuüben, ihnen womöglich überlegen zu sein; daß aber der Respekt, den er genoß, einer echten Autorität entsprang, einer Überlegenheit, die er nicht vorspielte und anscheinend auch nicht ausnutzte. Als er zurückkam: Did you relax?, musterte ich ihn verstohlen, um ihn beschreiben zu können: seinen länglichen dunkelhäutigen Kopf mit den asiatischen Gesichtszügen, seine schlanken, sensiblen Hände, denblauen, nach Art der Yoga-Kleidung geschnittenen Anzug mit der reinlichen weißen Halsblende. Sigrid, die mir im Vorraum die Zahlung von sechzig Dollar quittierte, sagte, er habe sie, die schwer an Krebs erkrankt gewesen sei, durch eine strenge Diät, durch Meditation und Akupunktur gerettet. Die letzte Untersuchung habe keine Metastasen mehr gezeigt. Sigrid war Deutsche, unwillkürlich sprach sie auch mit mir meistens Englisch.
Auf der Third Street nachmittags ins volle Kino. Emily, meine Nachbarin über mir, unsere Filmexpertin, hatte mich überredet, mit ihr zu gehen. »Close Encounters of the Third Kind« müsse man gesehen haben. Ich war nicht darauf vorbereitet, die Außeridischen direkt in unsere Gegenwart einbrechen zu sehen. Daß sie uns mit grellsten Lichterscheinungen am Himmel erschreckten, im wohlgeordneten amerikanischen Vorstadtheim unter den Augen der Hausfrau die Puppen tanzen ließen, alle Geräte in Bewegung setzten, vom Bügeleisen bis zum Kühlschrank, der entsetzten Mutter ihr Kind durch die Katzenklappe buchstäblich aus dem Haus zogen, also alle heimlichen Ängste weckten und uneingestandene Wünsche erfüllten. Und daß sie dann, auf einem von dem an fliegende Untertassen glaubenden François Truffaut sinnreich eingerichteten Platz, durch Technik und Musik zur Landung veranlaßt werden, bei der es zur Rückgabe ausgeliehener Menschen, natürlich auch jenes entführten Kindes, und zur Anheuerung neuer Mitreisender kommt. Bei der wir aber vor allem ein anrührendes Bild von jenen Außerirdischen gewinnen, nämlich, daß sie in technischer Hinsicht vollkommen, in anderer Hinsicht aber unerlöst sind und unserer bedürfen, was Emily, die auf dem Heimweg eher wortkarg war, nicht ganz ausschließen wollte. Womit sie indirekt zu erkennen gab, daß der Appell der Film-Außerirdischen an unser Mitgefühl bei ihr Wirkung gezeigt hatte.
Für den Abend lud sie mich zu sich ein, zur Barbecue-Ente in ihr Apartment, wo ich Mary vorfand, eine erfolgreiche, überschlanke, wortgewandte Rundfunkjournalistin, und Marc, Ingenieur bei einem Raum-Teleskop-Projekt, das Signale vonanderen Zivilisationen auffangen sollte, von deren Existenz Marc felsenfest überzeugt war. Das sei »statistically evident«. Aber nur Mary konnte mit eigenen Erfahrungen der »dritten Art« aufwarten, über die sie sonst, das heißt: unter Ungläubigen, nicht spreche. Vor einigen Jahren nämlich, als sie mit ihrer Familie, zu der auch ein kleines Kind und ein Hund gehörten, im Auto durch Arizona gefahren und auf einem Berg mit einem berühmten Aussichtsturm gewesen sei, seien am Himmel superhelle und eigentümliche Lichterscheinungen aufgetaucht, und es sei ihnen nicht gelungen, ihr Auto zu starten. Da hätten sie es einfach den Berg hinunterrollen lassen, das Kind habe vor Angst zu schnackeln und zu schlottern begonnen, und der Hund sei zitternd, die Pfoten unnatürlich über dem Kopf verschränkt, unter den Sitz gekrochen. Sie aber habe aus dem Fenster geblickt und am Himmel drei dunkle zigarrenförmige Objekte in geschlossener Formation sich auf sie zubewegen sehen, Mary habe geschrien, da hätten die anderen Erwachsenen sie auch gesehen. Dann habe es eine Art unhörbarer Explosion gegeben, sehr grelles Licht, und dann sei alles vorüber gewesen. Der Himmel war leer, das Auto habe wieder funktioniert, stumm seien sie weitergefahren. Ihr aber sei es seitdem ganz klar, daß die Berichte jener Menschen, die behaupteten, von Außerirdischen gekidnappt worden zu sein, auf Tatsachen beruhten.
Damit nicht genug, sagte Mary. Ein Freund von ihr, ein Naturwissenschaftler mit einem Uhrentick, dessen Armbanduhr immer auf die Sekunde genau
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