Stadt der Engel
triumphierten, was ja nun in der Öffentlichkeit doch geschieht.
So wäre es dir lieber gewesen, sagte Francesco, ihr hättet intelligente, womöglich feinfühlige Informanten auf eurer Spur gehabt?
»Lieb« und »lieber« seien Worte, die in diesen Zusammenhang wahrlich nicht gehörten, sagte ich. Die natürlich in den Berichten auch nicht vorkämen. Wie müßten diese Informanten sich ins Fäustchen lachen, wenn sie mitkriegten, wie ernst man ihre oftmals schludrigen Aufzeichnungen jetzt nehme, wiesie nach Belastungsmaterial durchforstet würden, wie sie noch einmal Beweiskraft bekämen und zu Schicksalsentscheidungen über Menschen gebraucht werden könnten. Wie man sie dazu benutzte, einander um Lohn und Brot zu bringen und von begehrten Posten fernzuhalten. Die Büchse der Pandora öffnet man nicht ungestraft, sagte ich.
Ihm werde schlecht, sagte Francesco, wenn er sich vorstelle, was passieren würde, wenn in Italien auf einmal alle Geheimdienstakten geöffnet würden.
Nicht alle, sagte ich. Nur die von einem Teil eures Landes: Nord oder Süd zum Beispiel.
Unmöglich! sagte Francesco.
Ich lachte. Es war Abend geworden, ich merkte, Francesco hatte genug, er wollte gehen, aber ich mußte ihn festhalten. Jetzt käme ich erst zu dem Eigentlichen, was ich ihm erzählen müßte, wozu ich aber diese lange Vorgeschichte gebraucht hätte. Der letzte Tag in der Behörde, endlich. Du habest die zweiundvierzig Aktenbände mehr oder weniger gründlich durchgesehen, habest die Klarnamen der Spitzel erfahren und wieder vergessen, du dachtest, du hättest es hinter dir, da druckste deine Betreuerin, zu der du ein beinahe freundschaftliches Verhältnis entwickelt hattest und die deine Akten besser kannte als du selbst, herum: Es sei da noch etwas. Sofort überkam dich ein Gefühl von drohendem Unheil, ohne daß du ahntest, was da noch sein könne, aber du wolltest es wissen, gleich. Sie zögerte. Sie dürfe dir deine »Täterakte« – zum ersten Mal dieses Wort! – nicht zeigen, dazu habe sie sich verpflichtet. Du hast insistiert. Schließlich hat sie dir das Versprechen abgenommen, niemandem zu sagen, daß sie gegen diese Anweisung verstoßen habe.
Dann hat sie kurz den Raum verlassen, in dem ihr allein gesessen habt, weil es nach Feierabend war, und ist mit einem dünnen grünen Aktendeckel zurückgekommen, den sie vor dich hingelegt hat, den sie, als du immer noch nicht begriffen hast, hinter dir stehend aufblätterte, wenige Minuten lang, während deren sie sich andauernd umgesehen hat, ob auch niemandsie bei dieser verbotenen Handlung ertappte. Das ist doch Ihre Schrift, habe sie dich leise, wie bekümmert, gefragt, und es w a r meine Schrift, sagte ich zu Francesco, und seitdem weiß ich: Es ist keine leere Redensart, daß einem die Haare zu Berge stehen, das gibt es wirklich. Aber Sie haben ja nichts unterschrieben, keine Verpflichtung, nichts, sagte die Kollegin, das sieht dann nämlich ganz anders aus.
Du hattest keine Zeit, du konntest nichts gründlich lesen, konntest die paar Seiten nur überfliegen: Deine Schrift in einem offenbar harmlosen Bericht über einen Kollegen, Berichte zweier Kontaktleute über drei oder vier »Treffs« mit dir und die Tatsache, daß sie dich unter einem Decknamen geführt hatten, machten diesen Faszikel zur »Täterakte« und schleuderten dich unvorbereitet in eine andere Kategorie von Men-schen.
Deine Betreuerin, die den Hefter hastig wieder an sich zog, sagte: Dies alles sei ja mehr als dreißig Jahre her, geschehen sei fast nichts, und danach kämen meterweise »Opferakten«, da müsse doch jeder einsehen, wie unerheblich dieser alte Vorgang sei, doch sie habe mich nicht ungewarnt in die Falle laufen lassen wollen, die sich bald auftun werde. Schließlich lese sie ja auch die Zeitungen. Jeder Journalist, der sie anfordere, komme an diese Akte – laut Gesetz! –, und wie sie meine Lage einschätze, sei es doch nur eine Frage der Zeit, bis jemand einen Tip erhalte und meine Spur aufnehme.
Ich aber, sagte ich zu Francesco, hörte mich zum ersten Mal sagen: Ich hatte das vollkommen vergessen, und merkte selbst, wie unglaubwürdig das klang. Meine Betreuerin seufzte: Das hören wir hier öfter! und trug die Akte eilig hinaus.
Francesco sagte: Scheiße. Und nach einer Weile: Was willst du tun.
Ich sagte: Ich werde das alles veröffentlichen.
Überleg dir das genau, sagte Francesco. Ich lese ja auch eure Zeitungen. Du mußt dich fragen, ob du das aushalten kannst, was dann
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