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Stadt der Finsternis - Andrews, I: Stadt der Finsternis

Stadt der Finsternis - Andrews, I: Stadt der Finsternis

Titel: Stadt der Finsternis - Andrews, I: Stadt der Finsternis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ilona Andrews
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wenn jemand Jim aus freien Stücken dabei hilft, sich vor seinem Alpha zu verbergen – nun ja, das ist dann schon eine ganz andere Angelegenheit.«
    »Hast du nicht irgendwas zu erledigen?« Jims Augen funkelten grün.
    Doolittle stand auf und legte mir eine Hand auf die Schulter. »Denk noch mal drüber nach, bevor du dein Todesurteil unterschreibst.«
    Dann ging er hinaus. Nun war ich mit Jim allein.
    In einem Kampf hätte ich keine Chance gegen Curran gehabt. Und er hatte mich nie gemocht. Überdies hatte er mich gewarnt und aufgefordert, mich aus den internen Machtkämpfen des Rudels herauszuhalten. Diesmal gab es für mich also keine Möglichkeit, mich irgendwie herauszureden.
    »Jim?«
    Er sah mich an, und da erkannte ich es, durch seine ganzen geistigen Schutzschilde hindurch: Angst. Jim hatte schreckliche Angst. Nicht um sich selbst – ich kannte ihn lang genug, um zu wissen, dass eine Gefährdung seines persönlichen Wohlergehens keine solche Furcht bei ihm auslöste. Er war aus dem Gleichgewicht, so als wäre er in der Dunkelheit niedergeschlagen worden und anschließend wieder aufgesprungen, ohne zu wissen, woher der nächste Hieb kommen würde.
    Er hatte »seine Gründe«, und ich musste diese Gründe erfahren. »Erklär mir mal bitte, warum ich nicht auf der Stelle Curran anrufen und diese ganze Sache hochgehen lassen sollte.«
    Jim blickte in sein Glas. Seine Armmuskeln spannten sich an. In seinem Innern spielte sich ein Kampf ab, und ich wusste nicht, welche Seite die größeren Siegeschancen hatte.
    »Vor sieben Jahren gab es in den Appalachen eine ganze Reihe von Loup-Infektionen«, sagte er. »Ich war damals gerade zum Rudel gestoßen. Sie nahmen mich zur Unterstützung mit. Tennessee ließ uns sofort rein, aber North Carolina brauchte geschlagene zwei Jahre, bis sie einsahen, dass sie mit dieser Scheiße nicht alleine fertig wurden. Also fuhren wir hin. Es ist ziemlich gebirgig da. Alte Familien, schottischen oder irischen Ursprungs, Separatisten, religiöse Spinner, die hocken da alle auf ihren eigenen Berggipfeln und sind fruchtbar und mehren sich, und ihre Kinder lassen sich dann in Hütten oder Wohnwagen gleich in der Nähe nieder, nur einen Steinwurf entfernt. Die Leute ziehen da hin, um unter sich zu sein. Alle kümmern sich nur um ihre eigenen Angelegenheiten. Da hat keiner auch nur mit uns gesprochen. Ganze Familien sind zu Loups geworden, ganze Familienclans, und keiner wusste davon. Und wenn sie es wussten, haben sie nichts unternommen. Du warst ja selbst damals bei den Buchanans dabei. Du weißt ja, was wir da gefunden haben.«
    Den Tod. Sie hatten den Tod gefunden – und Planschbecken voller Blut und halb aufgefressener Kinder. Männer und Frauen, vergewaltigt und niedergemetzelt. Menschen, denen bei lebendigem Leib die Haut abgezogen worden war. Sie hatten Loups gefunden.
    »Wir durchkämmten gerade Jackson County, als die örtliche Polizei uns rief. In der Caney Fork Road brannte ein Haus, und keiner von denen wollte dorthin. Sie sagten, das Haus gehöre Seth Hayes, und der würde auf jeden schießen, der sich bei ihm blicken ließe, und da wir ja eh in der Nähe wären und eh schneller dort sein könnten, sollten wir doch bitte mal da vorbeischauen.«
    Das war natürlich gelogen. Die Polizisten wussten, dass Hayes zum Loup geworden war. Sie wussten es wahrscheinlich schon eine ganze Weile. Wieso hätten sie sonst bei einem brennenden Gebäude Gestaltwandler zur Hilfe gerufen?
    »Das Haus stand an einem Abgrund. Wir brauchten eine Stunde, bis wir da ankamen. Da war mittlerweile schon alles niedergebrannt. Von dem ganzen Haus war nichts mehr übrig, nur noch verkohltes Holz und Qualm und dieser Gestank. Dieser Loup-Gestank.«
    Ich kannte diesen Gestank. Er war moschusähnlich und sauer, hinterließ einen bitteren Geschmack auf der Zunge und ließ einen unweigerlich würgen. Es war der Gestank eines Menschenkörpers, der außer Kontrolle geraten war und sich im Lyc-V-Delirium verloren hatte. Wenn man diesen Gestank einmal gerochen hatte, vergaß man ihn nie wieder.
    Jim fuhr mit tonloser Stimme fort: »Der Junge saß dort in der Asche. Er hatte zwei Leichen herausgezerrt, was von seinen Schwestern noch übrig war, und saß einfach da und wartete darauf, dass wir kurzen Prozess mit ihm machen würden. Ein schmutziger, abgemagerter, ausgehungerter Junge, mit dem Blut seines Vaters besudelt. Er stank wie ein Loup. Ich dachte, wir sollten ihn töten. Als ich ihn sah, dachte ich nur:

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