Stadt der Finsternis - Andrews, I: Stadt der Finsternis
es diese Leine gibt.«
»Solange Sie das nur nicht vergessen.«
»Das ist nichts, was ich vergessen könnte.«
»Ich habe eine Beschwerde bekommen, von Nataraja«, sagte er.
Ich entspannte mich. »Ja?«
»Er behauptet, Sie hätten sich geweigert, den Fall mit ihm zu besprechen. Er hatte viel zu sagen.«
»Das hat er öfter.« Ich zuckte die Achseln.
»Sie wissen, weshalb er so ein Theater macht?«
»Ja. Sowohl das Volk als auch das Rudel stehen unter Verdacht. Er will seine Kooperationsbereitschaft betonen.«
Ted nickte, teilte also offenbar meine Einschätzung.
»Ich hatte bisher keinen Grund, ins Casino zu gehen«, sagte ich.
»Dann haben Sie jetzt einen.«
»Ja, das stimmt.«
»Gut. Wenn wir hier fertig sind, gehen Sie hin, damit da endlich Ruhe ist.«
Ich nickte.
»Erzählen Sie mir, was Sie bisher herausgefunden haben.«
Ich packte alles aus. Ich erzählte ihm von dem toten Vampir und dem verborgenen Brandzeichen; von meinem Treffen mit dem Herrn der Bestien, der Curran genannt werden wollte; von den gelben Linien auf dem M-Scan; von Annas Traum.
Er hörte sich alles an, nickte nur ab und zu, doch ansonsten zeigte sein steinernes Gesicht keine Regung. Als ich fertig war, sagte er: »Gut.«
Mir wurde klar, dass die Audienz beendet war, und ich verließ sein Büro. Diesmal entkamen die Sarazenen, ohne dass brennendes Öl ihnen den Rücken versengt hätte.
Ich ging in Gregs Büro. Irgendetwas hatte mich seit dem Vorabend nicht mehr losgelassen und auch an diesem Morgen an mir genagt, und dank meines durch die kalte Dusche geschärften Geistes kam ich nun endlich darauf, was es war: die Frauennamen in Gregs Akte. Ich hatte diese vier Namen vollkommen vergessen, und das war ebenso verantwortungslos wie dumm. Ich hätte es eigentlich besser wissen müssen.
Ich brauchte nur knapp fünf Sekunden, dann hatte ich die Akte gefunden und die Seite mit den Namen darauf herausgezogen. Sandra Molot, Angelina Gomez, Jennifer Ying, Alisa Konova. Ich sah in Gregs Aktenschrank nach, aber es gab dort über keine dieser Frauen eine eigene Akte. Und außerdem kamen sie aus unterschiedlichen ethnischen Gruppen und hatten nichts miteinander gemein. Ich suchte im ganzen Büro nach einem Telefonbuch, fand es schließlich in der untersten Schublade eines Aktenschranks und schlug darin nach. Gomez und Ying waren recht verbreitete Nachnamen, und Molot war auch nicht gerade selten, also suchte ich nach Konova. Ich fand zwei Männer, die mit Nachnamen Konov hießen, Anatoli und Denis. Da bei den weiblichen Namensformen ein »a« angehängt wurde, wäre Konova eine weibliche Form von Konov. Ich beschloss, es auf einen Versuch ankommen zu lassen.
Ich wählte die erste Nummer, und eine Frauenstimme vom Band teilte mir mit, dieser Telefonanschluss sei abgestellt worden. Ich versuchte es bei der zweiten Nummer. Es klingelte, und eine ältere Frauenstimme mit leichtem Akzent meldete sich: »Ja?«
»Hallo, könnte ich bitte mit Alisa sprechen?«
Schweigen.
»Ma’am?«
»Alisa ist verschwunden«, sagte die Frau leise. »Wir wissen nicht, wo sie ist.«
Sie legte auf, ehe ich ihr noch eine weitere Frage stellen konnte. Da Molot der zweitseltenste Name war, suchte ich danach und fand sechs Molots. Hier brachte der vierte Anruf einen Treffer. Ein junger Mann sagte mir, Sandra sei seine Schwester, teilte mir dann widerstrebend mit, dass sie seit dem vierzehnten des Vormonats vermisst werde, weigerte sich aber, mir mehr darüber zu sagen, und fügte nur noch hinzu: »Die Polizei sucht immer noch nach ihr.« Ich dankte ihm und legte auf.
Dann rief ich neunzehn Leute an, die mit Nachnamen Ying hießen, und siebenundzwanzig, die den Namen Gomez trugen. Ich fand keine Jennifer Ying, stieß aber auf zwei Angelina Gomez’. Die erste war erst zwei Jahre alt. Die zweite war zwanzig und wurde ebenfalls vermisst.
Nun konnte ich mit einiger Sicherheit davon ausgehen, dass Jennifer Ying das gleiche Schicksal erlitten hatte wie die anderen drei Frauen. Ich überlegte, bei der Polizei vorbeizuschauen, aber der vernünftige Teil meines Hirns teilte mir mit, dass man mich dort nicht nur rausschmeißen würde, ohne mir irgendwelche Informationen zu liefern, sondern dass ich damit auch so viel Aufmerksamkeit auf mich lenken würde, dass ich meinen Job damit noch weiter erschwerte. Polizisten hatten Respekt vor den offiziellen Rittern des Ordens, kooperierten mit ihnen aber nur, wenn ihnen die Umstände keine andere Wahl ließen. Und ich war
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