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Stadt der Fremden

Titel: Stadt der Fremden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: China Miéville
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jener Zeit meine Dankbarkeit verdienten, waren geduldig, obwohl ihre Antworten zweifellos enttäuschend waren.
    In CalVins Gesellschaft sah, hörte und erfuhr ich intuitiv Einzelheiten über Aspekte des Lebens in Botschaftsstadt, die ich ansonsten niemals mitbekommen hätte. Ich griff sie von den flüchtigen Hinweisen, Andeutungen und Nebenbemerkungen meiner Geliebten auf. Sie antworteten mir nicht immer, wenn ich sie drängte – zum Beispiel sagten sie etwas über Kollegen, die abhandengekommen waren, oder über ariekenische Fraktionen und weigerten sich dann, dies weiter auszuführen –, doch ich lernte sogar nur vom zufälligen Mithören.
    Eines Tages befragte ich sie über Bren. »Ich sehe ihn nicht oft«, sagte ich. »Er scheint nicht zu Zusammenkünften zu kommen.«
    »Ich hatte vergessen, dass du eine Verbindung zu ihm hast«, meinten CalVin. Beide beäugten mich, allerdings in leicht unterschiedlichen Weisen. »Nein, Bren lebt eher freiwillig im Exil. Nicht, dass er jemals wirklich fortgehen würde, wohlgemerkt.« »Das würde nicht zu dem passen, was er für den Rest von uns zu sein glaubt.« »Und er hatte die Gelegenheit. Er hätte weggehen können.« »Nachdem er getrennt wurde.« »Stattdessen …« Sie lachten. »Er ist irgendwie unser lizenziertes Elend.« »Er weiß das meiste von dem, was vor sich geht. Auch weiter draußen. Er kennt Sachen, die er wirklich nicht wissen sollte.« »Man könnte ihn nicht als loyal bezeichnen. Doch er ist nützlich.« »Aber man könnte ihn wirklich nicht mehr als loyal bezeichnen, falls er das jemals war.«
    Scile hörte ihnen begierig zu.
    »Wie ist das?«, fragte mich Scile. »Ich meine, ich bin vorher schon mit zwei Personen zusammen gewesen, und ich bin sicher, du auch. Doch ich glaube nicht, dass …«
    »Nein, Pharoi , nein. Gott, du bist schrecklich . Das ist überhaupt nicht das Gleiche.« Zu jener Zeit war ich unerschütterlich in meiner Meinung, jetzt aber habe ich Zweifel.
    »Konzentrieren sich beide auf dich?«, fragte er. Wir kicherten. Er über die alberne Geilheit, ich über das, was sich beinahe wie eine Blasphemie anfühlte.
    » Nein , es ist alles sehr egalitär. Cal, ich und Vin – alle darin zusammen. Ehrlich, Scile, es ist nicht so, als wäre ich die einzige Person, die ein Botschafter jemals …«
    »Du bist jedoch die einzige, zu der ich Zugang bekommen habe.«
    Inzwischen war ich mir nicht sicher, dass dies der Wahrheit entsprach.
    »Ich dachte, Homosex wird nicht gebilligt«, fügte er hinzu.
    »Jetzt spielst du dich nur auf«, erwiderte ich. »Das machen sie nicht zusammen. Sie oder irgendjemand von den Botschaftern. Du weißt das. Es ist … Masturbation.« Das war die gewöhnliche, wenn auch anstößige Bezeichnung, und sie auszusprechen führte dazu, dass ich mich wie ein Kind fühlte. »Stell dir vor, wie das ist, wenn zwei Botschafter zueinanderfinden.«
    Scile verbrachte Stunden damit – viele Stunden –, dass er Aufzeichnungen von sprechenden Ariekei lauschte und sich Trids und Flats von Begegnungen zwischen den Botschaftern und Gastgebern anschaute. Ich beobachtete, wie er Wörter lautlos vor sich hin sprach und unleserliche Notizen schrieb – einhändig vorgenommene Eingaben in seinen Datspace. Er lernte schnell. Das war keine Überraschung für mich. Als CalVin uns schließlich zu einer Veranstaltung einluden, bei der die Gastgeber anwesend sein würden, verstand Scile Sprache mehr oder weniger perfekt.
    Es sollte eine der Besprechungen sein, die Botschafter regelmäßig alle paar Wochen mit Gastgebern abhielten. Der Handel zwischen den Welten fand zwar nur alle paar Tausend Stunden statt, doch er wurde durch ausgiebige, gewissenhaft durchgeführte Verhandlungen abgesichert und aufgebaut. Mit der Ankunft von jedem Immerschiff wurden Vertragsbedingungen kommuniziert, die zwischen Botschaftspersonal und Gastgeber vereinbart worden waren (mit der Imprimatur von Bremens Repräsentanten). Das Fahrzeug reiste anschließend mit diesen Details und ariekenischen Gütern sowie Tech ab. Auf seiner nächsten Runde kehrte es mit dem zurück, was auch immer man den Ariekei im Gegenzug versprochen hatte. Sie waren geduldig.
    »Es gibt einen Empfang«, teilte uns Cal oder Vin mit. »Würdet ihr gerne kommen?«
    Wir wurden natürlich nicht zu den eigentlichen Verhandlungen zugelassen. Scile bedauerte dies.
    »Warum kümmert dich das?«, fragte ich. »Es wird sterbenslangweilig sein. Handelsgespräche? Wirklich? Wie viel von dem …? Was willst

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