Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Stadt der Fremden

Titel: Stadt der Fremden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: China Miéville
Vom Netzwerk:
würde niemals wieder sein wie zuvor …
    Es war nahezu unerträglich, die Ariekei solche Sachen wiederholen zu hören. Ez, wie ich bemerkte, entwickelte einen Erzählbogen über viele Tage hinweg. Das waren nicht verschiedene Anekdoten: Es war eine Autobiografie.
    Und das war der Augenblick – hörte ich in ariekenischer Stimme –, wo der Ärger richtig begann, und was als Nächstes passierte … Sie werden warten müssen, um das zu hören. Ez beendete jeden Textabschnitt mit einem Cliffhanger, als ob es das wäre, was seine Zuhörerweiterhin begierig sein ließ. Sie hätten ihm nicht weniger eifrig gelauscht, wenn er Einzelheiten über Einfuhrzölle, über Statuten von technischen Konstruktionsdaten, über Träume oder Einkaufslisten erklärt hätte.
    Wir gingen zu irgendeiner Aufzuchtstation im Rahmen der Bio-Fabrizierung, zu einer Verbrennungsanlage voller Erinnerungen, zu einer Residenz oder einem gigantischen Herdbau oder wohin auch immer, und wenn wir aufgrund der Bemühungen von MagDa oder einem anderen Botschafter den Gastgeber fanden, nach dem wir suchten, folgten gewissenhafte Diskussionen. Es war ein gequältes Unterfangen, Verhandlungen mit einem außerirdischen Süchtigen zu führen. Doch wir erreichten meist etwas und brachten einen Gastgeber mit zurück, oder einen Käfig voller Werkzeug-Parasiten, die unsere Instandsetzung benötigte, oder Pläne oder die Karten, die wir zu benutzen oder zu zeichnen lernten. Stets war es eine Expedition, für die wir einen ganzen Tag benötigten. Die Gastgeberstadt reagierte lebhaft auf uns: Wände schwitzten, und Fensterhöhlungen öffneten sich. Die Ohren, die jedem Haus gewachsen waren, bogen sich erwartungsvoll.
    Das war ein weiterer Grund, weshalb wir es vorzogen, nicht draußen zu sein, wenn EzRa auf Sendung ging. Ich war nicht die Einzige, welche die Maßlosigkeit der Architektur und seiner Bewohner sowie das krampfhafte Lauschen der Wände schrecklich fand.
    Die Ordnung war schwach und gefährlich, aber immerhin vorhanden: Dies war nicht der Zusammenbruch, der es hätte sein können. Das Schiff würde kommen. Bis dahin lebten wir am Abgrund. Wenn wir abreisten, würden wir eine Welt von verzweifelten Ariekei zurücklassen, die sich aufgrund ihres Entzugs nur noch krabbelnd fortbewegen würden. Ich konnte nicht daran denken, so wenig wie daran, was anschließend passieren würde. Es würde eine lange Zeit dauern, bis wir uns dem Luxus von Schuld hingäben.
    Ich traf dieselben Ariekei mehr als einmal auf unseren Expeditionen. Ihre Spitznamen waren Schere, Rotes Tuch und Schädelchen. Wenn EzRas Sendung erklang, blafften sie uns wie alle anderenAriekei heftig an. Doch zu anderen Zeiten gaben sie ihr Bestes im Umgang mit uns: Eine Gruppe von Führungskräften entwickelte sich unter den Gastgebern, die möglicherweise unsere Amtskollegen darstellten. Sie versuchten von ihrer Seite aus, die Dinge am Laufen zu halten. Was härter für sie war in Anbetracht der Tatsache, dass auch sie von der Sucht betroffen waren.
    In Botschaftsstadt erwachten nun Gegentendenzen zu der Neigung, sich auf den Zusammenbruch zutreiben zu lassen. Schulen und Kinderhorte nahmen wieder ihren Betrieb auf. Obgleich bislang niemand so ganz wusste, auf welcher Grundlage unsere Wirtschaft noch arbeiten würde, kümmerten sich Schichteltern weiterhin um ihre Verantwortungsbereiche, und unsere Krankenhäuser und andere Institutionen folgten ihnen. Aus der Not heraus machte unsere Stadt nicht viel Aufhebens wegen der Gewinnmargen oder der Buchführung, deren Zahlen früher die Produktion und die Distribution gelenkt hatten.
    Ich darf nicht den Eindruck erwecken, dies wäre gesund gewesen. Botschaftsstadt war dabei, gewaltsam zu sterben. Wenn wir von unseren Erkundungen in Gastgeberstadt zurückkehrten, betraten wir Straßen, die nicht sicher waren. Polizisten begleiteten uns. Wir konnten diejenigen nicht bestrafen, die sich ihren Weg zum Ende der Welt mit Partys versüßen wollten. Außerdem ging jeder von uns manchmal zu seinen geselligen Zusammenkünften. (Ich fragte mich, ob ich Scile auf irgendeiner treffen würde: Es geschah nie.) Die Ausgangssperre allerdings wurde rücksichtslos durchgesetzt. Polizisten ließen sogar einige Tote zurück; ihre Leichname wurden auf unseren neuen Kanälen zensiert durch Pixelierung. Es gab Kämpfe in Botschaftsstadt, auch Überfälle und Morde. Es gab Selbstmorde.
    Es gab sogar Moden bei den Selbstmorden, und einige der unsrigen waren dramatisch und

Weitere Kostenlose Bücher