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Stadt der Fremden

Titel: Stadt der Fremden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: China Miéville
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Natürlich: Was los ist, erschreckt uns alle, doch ich bin bekümmert … und so weiter. Ehrsul wartete, während ich las. Was für einen Gesichtsausdruck musste ich gemacht haben? Sicherlich hielt ich die Luft an. Ihr Avatar stotterte – mal flimmerte ihr Gesicht, mal war es scharf eingestellt –, bis ich fertig war.
    Ich erkannte nicht den Namen am Ende des Briefes. Ich erkannte genau an der Weise, wie er flatterte, als ich mich bückte und ihn auf den Boden zurücklegte, dass meine Finger zitterten. Wie viele beste Freundinnen hatte sie gesammelt? Vielleicht war ich ihre vornehme Spielart, verbunden mit dem Botschaftspersonal. Vielleicht hatte jede von uns eine Nische. Vielleicht hatten wir alle Angst um sie gehabt.
    Als ich über sie nachdachte, musste ich auch an CalVin denken – welche nutzlosen Handlungen sie auch immer ausführten – und an Scile, von dem ich nach wie vor nichts gehört hatte. Ich rief wiederholt Bren an, doch zu meiner Verärgerung und zu meiner Besorgnis meldete er sich nicht. Ich ging wieder einmal zu seinem Haus, doch niemand kam an die Tür.
    Ich glaube nicht, dass ich verstand, was Ra alles auszuhalten hatte, bis ich im Dienst von Ez war. Natürlich hätten wir einfach ein Gewehr an Ez’ Kopf halten können, doch wenn wir ihm zu heftig drohten, drohte er im Gegenzug uns. Und sein Verhalten war so unvorhersehbar, dass wir ernsthaft die Möglichkeit in Betracht ziehen mussten, er würde das Reden verweigern und uns alle aus Boshaftigkeit vernichten. Stattdessen beaufsichtigten wir ihn daher überall, Gefängniswärter, Gefährten und ausgleichende Gegenstücke zugleich. Auf diese Weise konnte er uns das Leben schwermachen, wenn es Zeit für seinen Auftritt war; und wir konnten uns von ihm herumstoßen lassen, bis er sich beleidigt fügte.
    Mindestens zwei Sicherheitsleute waren immer dabei. Ich fragte, ob ich mich Simmon anschließen könnte. Als ich ihm begegnete, ergriff er bei der Begrüßung meine rechte Hand mit seiner Linken. Ich blickte erstaunt. Der rechte Arm, den er jahrelang getragen hatte, war fort: Es hatte sich um eine ariekenische bio-fabrizierte Vorrichtung von ungenauer Farbe und Beschaffenheit gehandelt, die jedoch exakt die Terre-Morphologie nachgeahmt hatte. Sein Jackenärmel war säuberlich aufgesteckt.
    »Die Prothese war süchtig«, erklärte Simmon. »Als ich sie auflud, muss sie sich …« Er hatte eine Zelle benutzt, wie die Gastgeber und ihre Stadt. »Es war eine Art von Verkrampfung«, fuhr er fort. »Sie versuchte, Ohren auszubilden. Ich habe sie abgeschnitten. Selbst als sie auf dem Boden lag, versuchte sie immer noch zu hören.«
    Ez war in EzRas Botschaftskammern. Er war betrunken und beschwatzte uns. Er griff Ra heftig an wegen dessen Feigheit und Teilnahme an einer Verschwörung und beschimpfte MagDa mit schmutzigen Namen. Gemein, aber nicht gemeiner als viele Wortwechsel, die ich gehört hatte. Es war Ra, der mich überraschte. Er ertrug die Sache anders, als ich es bei ihm zuvor beobachtet hatte. Er, den wir oft wegen seiner Schweigsamkeit verspottet hatten, schrie Schimpfnamen zurück.
    »Stellen Sie sicher, dass er bereit ist zu sprechen, wenn er zurückkommt«, forderte Ra uns auf.
    Ez bedachte ihn mit einer obszönen Geste.
    »Kann ich wenigstens zu einer Party gehen? Oder werdet ihr Scheißtypen versuchen, mich sogar davon abzuhalten?« Ez jammerte, als wir ihm zum Veranstaltungsort in den unteren Etagen der Botschaft folgten.
    Wir bewachten ihn und kontrollierten jeden Drink, den er nahm, obschon wir niemals bemerkt hatten, dass Ausschweifungen seine Fähigkeiten in Sprache beeinträchtigt hätten. Wir schauten zu, wie er vögelte und stritt. Sein Verbindungselement, das nach seinem Partnerstück suchte und es nicht fand, flackerte wild, während es sich bemühte, eine Beziehung zu verstärken, die Ez ständig vermied.
    Ich könnte behaupten, dass sie deprimierend war, diese Party – wie ein Spaziergang durch das Fegefeuer: Am Ende der Welt brunften wir uns in die Vergessenheit und betäubten uns selbst mit Drogen wie ein Idiot, begleitet von auto-erzeugten Rhythmen und dem Hämmern von Lichtern durch Rauch. Für jene, die daran teilnahmen, war es vielleicht freudvoll. Ez’ Interesse daranwar jedoch nicht von Dauer. Ich war so teilnahmslos wie ein Soldat.
    Ez brachte uns zu einem ehemaligen Lager für Bürobedarf, das sich in den mittleren Stockwerken der Botschaft befand und jetzt eine Ersatz-Bar war. Er trank, bis ich einschritt, was ihn

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