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Stadt der Liebe

Stadt der Liebe

Titel: Stadt der Liebe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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die hier ihre erste Posthalterei für den Verkehr nach Rouen eingerichtet hatten. In dem langen, dickmaurigen Gebäude aber, in dessen Innerem einst die Postpferde gefüttert wurden, stickten nun Tag um Tag die Arbeiterinnen sich die Finger wund, über seidenschimmernde Stoffbahnen gebeugt, endlose Tage, Wochen, Jahre lang, so lange, bis ihre Leiber so krumm und verbogen aussahen, daß sie kein Mann in Neuilly oder sonstwo noch haben wollte. Daneben, in der alten Remise der Posthalterei, lagerten Ballen von Tuch. Tuch aus Brabant, Tuch aus Lyon, Gent oder Brügge, selbst Baumwollspitze aus Sankt Gallen. Samt, Seide und Brokat, die vornehmen Stoffe der Aristokraten und der reichen Bürger und ihrer Damen hielt der dicke Michel Dumont vorsichtshalber im Haus unter Verschluß.
    In Jeanettes Herz war nun alle Angst erloschen. Ganz sicher setzte sie die Füße auf, rutschte nicht einmal auf dem blankgeschliffenen Pflasterstein und hatte nun ohnehin bereits den Marmor unter den Füßen, der sich vom Haus zum Garten zog und über den die Sonne einen perlmuttfarbenen Schleier zauberte.
    Es war der Marmor, der zur Terrasse führte. Geißblatt wuchs hier. Weinstöcke schlangen sich an Säulen empor, und im Hintergrund leuchteten Rosen.
    Nun werden wir ja sehen …, dachte Jeanette.
    Und sie sah nun auch. Im Sessel sah sie ihn sitzen, den fetten Leib in das fließende Seidengrün eines Hausmantels gekleidet, Seidenschlingen auch um den breiten Schweinekopf, weiße und grüne Seide, halb arabisch, ein Mittelding zwischen Schlafmütze und Turban, und so, in dieser sonderbar pompösen Aufmachung, verlor Michel Dumont alles Menschliche und wirkte auf sie wie eine dieser grauenerregenden, heidnischen Götzen, die sie aus den Büchern ihres Vaters, des Schreibers von St. Laurent, noch kannte.
    Auch dieser Anblick vermochte den Mut in ihr nicht zu ersticken. Unabweisbar, gleich einer Kompaßnadel, wies er die Richtung. Was immer das Trüffelschwein auch sagen würde, Geld mußte er herausrücken. Jawohl, mußte!
    Denn was schon wäre wichtiger auf dieser Welt, als Alain Chartier zu retten, als ihn dorthin zu schaffen, wo er hingehörte, hinauf in die Berge von Beaulieu, wo die sanften Winde vom Tal der Loire seinen gemarterten Lungen Balsam sein werden.
    »Du?«
    »Ja, ich, Maître Michel. Und verzeiht die Störung.«
    »Was? … Wie war das? Eine Störung soll es sein, wenn du beliebst, wieder einmal zur Arbeit zu erscheinen?«
    Der kleine, aufgeworfene Mund verzog sich. Die Unterlippe hing noch tiefer. Wehleidig und feuchtschimmernd.
    »Ich komme nicht zur Arbeit, Meister Michel.«
    »Nein? Zu was dann? Darf ich das vielleicht erfahren?«
    Jeanette begegnete diesem Blick. Der Rattenblick. Ein gefährliches Glitzern, sprungbereit und grausam amüsiert zugleich. Dann aber zerfiel plötzlich das Gesicht zu einer Schmerzgrimasse, die Hamstertaschen begannen zu zittern, Falten durchgruben die Stirn, und unter diesem lächerlichen, grünen Karnevalsgewand bewegte sich die Hand suchend über den dicken Leib, verkrampfte sich, blieb still.
    Und nun das Stöhnen.
    Und dann: »Ich leide … Oh … Oh – dieser Schmerz. – Da drüben, meine Medizin. Dort im Glas … Nun gib sie schon.«
    Jeanette brachte das Glas.
    Er trank es leer und wischte sich mit dem Handrücken die Tropfen vom Mund. Dann schloß er die Augen, verfiel in Schweigen, das nur der schwere Atem und das flirrende Rauschen von Taubenflügeln über dem steilen Dach des Wohnhauses unterbrach. Noch immer fühlte Jeanette keine Furcht und wunderte sich darüber. Sie brauchte das Geld. Und sie würde ihn wachschütteln, wenn es nicht anders ging.
    »Frißt, säuft und hurt sich zu Tode.« Isabeau, die alte Magd des Maître, hatte das gesagt. »Bald kann er auf den cimetière und dort Frieden mit seiner Frau schließen …«
    Maître Michels Frau lag schon lange auf dem Friedhof. Selbst Tante Marie aus Beaulieu, deren Fürsprache Jeanette die Arbeit bei ihm verdankte und deren Haus am Bois sie nun auch bewohnen durfte, selbst Jeanettes eigene Tante hatte von den zahlreichen Maitressen gehört, mit denen Michel Dumont das Bett geteilt und seine Frau zu Tode gequält hatte.
    An diese Tante Marie dachte Jeanette jetzt.
    Zu Tante Marie nach Beaulieu würde sie Alain morgen bringen. Mußte sie …
    Und wie hatte die Tante immer gesagt? »Dumont begreift nur eines: Härte. Bei anderen begegnet er ihr nie. Er wendet sie nur selbst an. Doch kommst du ihm so, wie er's verdient, wird er

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