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Stadt der Liebe

Stadt der Liebe

Titel: Stadt der Liebe
Autoren: Heinz G. Konsalik
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die bereits schattendunklen Gassen mit den hohen Häusern, vorbei am alten Königspalast gegangen, um dann auf dem anderen Flußufer in die grüne Stille der Klostergärten von Saint Severin einzutauchen.
    »Es ist ganz leicht zu finden.« Selbst jetzt noch hatte sie die verführerische, heisere Stimme des Mannes im Ohr, den sie suchte …
    Vorsichtig, ganz vorsichtig nur streckte Jeanette den Kopf aus der Nische. Der gewaltige Raum war an der linken Hälfte durch die schwarze Linie der Säulenkante beschnitten. Wirklich, es war eine gespenstische Szene. Die Kurven der vielen Gewölberippen, die den tiefen Säulenreihen entsprangen und im Kreuzungspunkt von Steinrosetten verziert waren, schlossen sich zu einem feingeäderten Gitter, über das ein ruhiger, roter Flammenhauch spielte. Er kam von einem offenen Feuer in der rechten Ecke des Saals. Von ihm auch wehte der schwere, fette Geruch verbrannten Fleisches heran. Bis zur Hälfte mußte der Raum wohl unter der Erde liegen, denn die von schweren Quaderleibungen eingefaßten Spitzfenster begannen an seiner Decke. Sie warfen ein graudüsteres Licht über die Reihen langer, schmaler Tische, auf denen Trinkbecher, Humpen und Weinkannen standen. Zwischen öligen Getränkepfützen schimmerten abgenagte Schweinsknochen. An diesen Tischen saßen die Gäste des ›Blauen Schwan‹.
    Es waren Männer, ausschließlich Männer. Und fast alle waren sie jung, Studenten der Sorbonne vermutlich, Scholaren, Theologen, Mediziner, Jura-Aspiranten. Vielleicht hockten auch einige ihrer Lehrer darunter, oder einfach nur Bürger des Quartiers von Saint Severin und Saint Michel. Vielleicht kamen sie auch von der Île herüber, um hier zu saufen, Karten zu spielen und wilde Lieder und Gedichte anzuhören. Was wußte sie? Was interessierte es sie? Nur eines blieb unerträglich: Wenn man von den Schank-Dirnen absah, die sich zwischen die langen Reihen der Bänke schoben – hier hockten nur Männer!
    »Wenn du in Paris bist, vergiß nur nicht, in den ›Blauen Schwan‹ zu kommen. Dort findest du mich immer. Aber komm nicht, ohne ein Gedicht des Meisters mitzubringen.«
    Vor einem Monat war das gewesen.
    Gil Legrand kam nach Neuilly herausgeritten: Spitzbart, Rotweintrinkergesicht, aber blitzende, freche Augen darin. Und als ob die Hautfarbe nicht genügte, trug er auch noch Purpur. Purpurfarbene Pluderhosen, engen Samtwams, geschlitztes Barett.
    Vom Haus aus hatte sie beobachtet, wie er aus dem Sattel sprang, um Alain brüderlich in die Arme zu schließen: »He, he, Alter! Was macht der Husten? Ah, hier versteckst du dich? In diesem Hexenhaus, statt zu mir in den ›Blauen Schwan‹ zu kommen?«
    Als ob dies alles noch nicht genüge, demonstrierten zwei Reihen starker Pferdezähne ein Grinsen, das wohl charmant sein sollte: »Und dort am Fenster? Ist das die Hexe vom Hexenhaus? Wie hübsch! Und wie jung noch obendrein. Du warst schon immer ein Glückskind, Alain. Ich bin entzückt.«
    Sie mußte ihn begrüßen, und der Handkuß war wohl bei einem purpurfarbenen Gockel wie diesem Gil unvermeidlich.
    »Die Freunde meiner Freunde sind meine Freunde«, verkündete er, »nicht wahr, so heißt es doch? Von den Freundinnen will ich gar nicht reden. Du würdest sonst nur eifersüchtig …«
    Und Alain wußte nichts, als zu hüsteln und zu lächeln, sehr unpassend zu lächeln, wie sie fand, bei einem solchen Aufschneider.
    Gil Legrand, erfuhr Jeanette eine Stunde später – da war der Purpur-Gockel unter Hinterlassung von zwei Flaschen Burgunderwein und einer großen Staubwolke bereits in Richtung Bois davongaloppiert, und sie saßen am Steintisch unter dem Holunder und tranken von seinem Wein. Gil Legrand hatte mit Alain die Studentenbänke der Sorbonne gedrückt, habe zunächst Theologie studiert, denn das war letztendlich der einfachste Weg, sich ein Einkommen im Leben zu sichern, und sei dann, genau wie Alain selbst, in die juristische Fakultät gewechselt, wo er allerdings, statt die Vorlesungen über ziviles und kanonisches Recht zu hören und sich auch der Philosophie zu widmen, Zeit und Kraft bei Weiberaffären, Schlägereien, Kartenspiel, Saufen und Singen verschwendete.
    »Soff wie ein Loch, Jeanette. Und hatte auch eine ganz hübsche Stimme. Ich schrieb ihm ein paar Gedichte, die er dann sofort für die seinen ausgab, was ihm den Namen ›Gil, der Sänger‹, einbrachte. Darauf war er natürlich furchtbar stolz. Aber er trieb's nun mal zu wild. Und so war's bald vorbei …«
    Vorbei war
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